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Krankenkassen müssen nicht alles zahlen
Verfasst: 08.05.2012, 07:38
von CiceroOWL
welt.de/newsticker/news3/article106267795/Urteil-Krankenkasse-muss-Krebsbehandlung-im-Ausland-nicht-bezahlen.html
Darmstadt (dapd-hes). Die gesetzlichen Krankenkassen müssen die Kosten für eine spezielle Krebsdiagnostik im Ausland nicht erstatten. Die Kassen müssten nur die vom Leistungskatalog erfasste Behandlung übernehmen, teilte das hessische Landesozialgericht am Montag in Darmstadt mit. Das gilt demnach auch bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, wenn zumutbare Alternativen zur Verfügung stehen. Ein Anspruch auf "Spitzenmedizin um jeden Preis" bestehe nicht.
Ein 74 Jahre alter Mann aus Südhessen hatte geklagt, weil seine Krankenkasse die Kostenübernahme für eine spezielle, nur von einem Arzt in den Niederlanden angebotene Computertomografie abgelehnt
hatte. Seine Klage lehnte das Sozialgericht mit der Begründung ab, dass die Krankenkassen nicht alles leisten müssten, was als Mittel zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar sei.
handelsblatt.com/finanzen/vorsorge-versicherung/nachrichten/private-krankenversicherung-die-schlinge-um-die-pkv-zieht-sich-zu/6589662.html
Mal für jeden den es interessiert.
Verfasst: 17.05.2012, 11:09
von reallyangry
Weil es hier passt:
L e i t s a t z
zum Beschluss des Ersten Senats
vom 6. Dezember 2005
- 1 BvR 347/98 -
Es ist mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 347/98 -
Verfasst: 17.05.2012, 11:26
von Czauderna
Hallo,
warum passt das hier - als Ergänzungs- oder als Widerspruchsargument ??
Gruss
Czauderna
Verfasst: 17.05.2012, 12:38
von roemer70
Es passt in meinen Augen nicht:
Im zitierten Fall ging es um eine schonendere Behandlung, die weniger Nebenwirkungen hat. Es stand aber durchaus eine Behandlungsmethode zur Verfügung, die von der Kasse übernommen werden konnte (aber nicht gewünscht war).
Reallyangry zitiert ja selbst "für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht".
Insofern eine ganz andere Fallkonstellation.
Verfasst: 17.05.2012, 14:02
von reallyangry
Das Urteil, auf welches ich mich beziehe, passt sowohl als Ergänzung zum oben genannten, als auch als Widerspruchsargument, meiner Meinung nach.
In Bezug auf das oben erwähnte Urteil kommen mir mehrere Fragen in den Sinn:
(1) Warum wird das Verfahren nur in den Niederlanden durchgeführt? Ist es dort "anerkannt"- eventuell sogar besser als die in Deutschland durchgeführte Alternative?
(2) Warum hat man in Deutschland kein Recht auf "Spitzenmedizin"?
(3) Die GKV ist eine Zwangsversicherung. Darf sie mir deswegen Behandlungsmethoden (Spitzenmedizin/Alternativmedizin) verweigern?
(4) Warum wird der juristische Streit um die Verweigerung von Kostenübernahmen im Gesundheitswesen auf dem Rücken der Patienten ausgetragen? Diese Entscheidungen werden vom GEMEINSAMEN BUNDESAUSSCHUSS" getroffen, dem nach Ansicht einiger Juristen die Legitimation dafür fehlt.
Gibt's die Möglichkeit, das Urteil des SG in Hessen als Original zu lesen?
Verfasst: 17.05.2012, 14:45
von roemer70
zu 1) Da musst Du schon den Behandler fragen - es gibt nämlich europaweit nur einen einzigen, der das Verfahren anbietet (somit kann es schonmal nicht am deutschen Zulassungsverfahren liegen).
zu 2) Du kannst auch in Deutschland gerne alles nutzen, was die Medizin so bietet. Nur nicht alles auf Kosten der Solidargemeinschaft. Vereinfacht ausgedrückt: VW Golf für alle (manchmal sogar Mercedes), aber wer einen Rolls-Royce will, der auch nur von A nach B fahren kann, muss ihn selber bezahlen. Das ist sogar recht nah an obigem Fall.
zu 3) Gegenfrage: Muss sie Dir deshalb alles bezahlen? Solch ein System wäre unfinanzierbar. Und zur Eingrenzung des Möglichen gibt es nunmal entsprechende Rechtsgrundlagen. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V (" Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.") gilt immer zusammen mit § 12 Abs. 1 ("Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.").
zu 4) Hier verstehe ich Dich nicht. Warum "auf dem Rücken der Patienten"? Weil der Kläger die Leistung nicht erhalten hat? Und es gibt immer Juristen, die eine konträre Meinung besitzen - was dem derzeitigen Stand aber nicht seine Rechtmäßigkeit nimmt. Die Therapie des Klägers konnte vom GBA übrigens noch gar nicht geprüft werden - mangels Antrag.
Das Urteil:
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de ... focuspoint
Verfasst: 17.05.2012, 15:01
von vlac
...
Verfasst: 17.05.2012, 15:24
von reallyangry
Ich hab' das Urteil jetzt mal überflogen. Es geht hier um mehr, als nur (k)ein "Anrecht auf Spitzenmedizin" / Kostenerstattung einer Spezialuntersuchung im Ausland.
Mal anders betrachtet: Die Solidargemeinschaft "Versicherung" darf für das dämliche Verhalten eines übermütigen Jugendlichen zahlen, der sein Auto mit überhöhter Geschwindigkeit nach Diskobesuch und Alkoholkonsum gegen einen Baum jagt und dabei noch weitere Personen schwer verletzt. (Oder eines Typen, der mit Spiralen über Autos bei Gottschalk springt und dann lange in der Schweiz behandelt wird und für den Rest seines Lebens behandelt werden muss...) Oder Komasaufen...
Es fehlt in dem Urteil, was denn die Maßnahmen in Deutschland gekostet hätten - mehr als €1500? - und wie bewertet man die Tatsache, dass der Mann auf Grund der Alternativen der deutschen Schulmedizin an Lebensqualität verloren hätte (Inkontinenz / Impotenz) Auch ein 74 jähriger hat das Recht auf ein erfülltes Sexualleben, laut Weltgesundheitsorganisation gehört das zu Gesundheit dazu.
Und Krebs ist auf einmal keine lebensbedrohliche Krankheit mehr? Ja warum werden dann noch Vorsorgeuntersuchungen bezahlt?
Mehr gerne später...ich geh jetzt mal raus und guck mir die unsicheren Vatertags - Radtourer an, die wegen zu viel Alkohol nicht mehr geradeaus fahren können...
Verfasst: 17.05.2012, 16:40
von vlac
...
Verfasst: 18.05.2012, 10:20
von reallyangry
Hallo vlac,
danke für Deine ausführlichen Antworten zum streitigen Diagnoseverfahren. Ich gestehe, ich bin tatsächlich beim obigen Satz "kein Anspruch auf Spitzenmedizin"- ohne groß nachzudenken- in die Diskussion eingestiegen. Der Satz hat mich nämlich geärgert.
Ich habe mir das Urteil jetzt komplett durchgelesen, und mit Deinen Zusatzinformationen zum Procedere kann ich dem hessischen LSG durchaus folgen.
Letztendlich komme ich zu dem Ergebnis, dass sich der Rentner die €1500 von seiner Hausärztin wiederholen sollte, denn die hat ihm ja (wahrscheinlich) die Untersuchung "angedreht" und den Mann (vermutlich) nicht darüber aufgeklärt, dass er sich vorher von der Krankenkasse bez. der Kostenerstattung in Verbindung hätte setzten sollen. Es ist allgemein erschreckend, wie wenig Ärzte sich darüber im Klaren sind, dass ihre Massnahmen zum Teil existenzbedrohende Auswirkungen auf Versicherte haben. Ich denke, hier hat sozusagen "die Angst des Patienten vor einer möglichen lebensbedrohenden Krankheit" zu einem Systemversagen geführt.
Jetzt hab ich vermutlich eine weitere Baustelle aufgemacht.
LG
ReallyAngry
Verfasst: 18.05.2012, 10:56
von broemmel
Die Baustelle ist bekannt und seit Jahren ein Thema.
Nennt sich IGEL Leistung.
Alle Leistungen die einen Gesundheitswert haben können aber nicht Teil des Leistungskataloges sind.
Beispiele gibt es zu Hauf. Die Glaukomuntersuchungen die jedem beim Augenarzt standardmässig angeboten werden (teilweise mit unwahren Behauptungen, Aussicht auf Kostenerstattungen bei Krankenkassen usw). Diese Untersuchungen sind, glaube ich zumindest die eindeutige Nr. 1 der IGEL Leistungen.
Es gibt gerade beim Prostata CA die Bestimmung des PSA Wertes. Dieser Wert kann durch vorherige körperliche Belastung (besp. Fahrradfahren) nach oben schnellen und ist daher für die einmalige Testung nicht geeignet.
Bei allen Leistungen die nicht im Katalog enthalten sind hat eigentlich der behandelnde Arzt über die Alternativen im Bereich des abrechnungsfähigen Leistungen aufzuklären. Die Art und Weise wie diese zusätzlichen Leistungen "verkauft" werden mag zweifelhaft sein.
Grundsätzlich sollte jeder Patient die Frage stellen.
Wenn ich diese Leistung erhalte die ich privat zahlen soll. Was für einen Mehrwert gegenüber des abrechnungsfähigen Leistung erhalte ich. Warum ist die Kassenleistung nicht ausreichend.
Mit der Antwort und dem Preis kann der Versicherte dann eine "Kaufentscheidung" treffen.
Verfasst: 18.05.2012, 11:16
von Czauderna
Hallo,
passend zum Thema faellt mir da tatsaechlich eine
weitere Baustelle ein, und die heißt "IGEL".
Das "schlimme" daran ist, dass es dort tatsächlich
Angebote gibt, die nicht von der Kasse gezahlt werden aber
trotzdem richtig gut sind. Insgesamt aber dient eine
IGEL-Leistung dazu die Einkommensverhaeltnisse des
jeweiligen Arztes aufzubessern, dies zu Lasten des
Patienten. Von 10 Versicherten, die sich wegen einer
Kostenbeteiligung an mich wenden, sind neun finanziell
gut betucht - dem AlG-2 Bezieher oder dem Rentner mit
wenig Rente, dem werden solche Angebote erst gar nicht
gemacht.
Die " Verkaufsstrategie" sieht u. U. so aus, das solche
Leistungen als "Spitzenmedizin" angepriesen werden, aber
von den "bösen" Krankenkassen nicht bezahlt wuerden.
Deshalb solle man sich auch nicht scheuen, die Rechnung seiner
Krankenkasse trotzdem einzureichen.
Dann kommt eben, was kommen muss, der Patient
greift zu, laesst eine ueberfluessige Sache machen, zahlt dafuer richtig
viel Geld, bekommt natuerlich nix von seiner Kasse
wieder und ist natuerlich sauer, aber nicht auf den
Arzt sondern auf seine Kasse
"Kriminell" wird die Sache erst richtig, wenn die angebliche
IGEL-Leistung in Wirklichkeit eine ganz normale
Kassenleistung ist, aber eben nicht den gewünschten
Betrag einbringt. von solchen "machenschaften" erfahren wir
aber nur durch Zufall.
Zum Schluss - diese geschilderten Praktiken betreiben
natürlich nicht alle Ärzte, sondern nur ein Bruchteil, aber in
der Vergangenheit war die Zahl aufsteigend.
Gruss
Czauderna
Verfasst: 18.05.2012, 11:26
von Bully
Czauderna hat geschrieben:
Das "schlimme" daran ist, dass es dort tatsächlich
Angebote gibt, die nicht von der Kasse gezahlt werden aber
trotzdem richtig gut sind.
Dann kommt eben, was kommen muss, der Patient
greift zu, laesst eine ueberfluessige Sache machen, zahlt dafuer richtig
viel Geld,
mmmmmmmmmmmmmhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
na, letztendlich hat die KK schon einen Ermessensspielraum,
welche Leistungen Sie doch erbringt / erstattet.
Gruß Bully
Verfasst: 18.05.2012, 12:22
von Czauderna
Bully hat geschrieben:Czauderna hat geschrieben:
Das "schlimme" daran ist, dass es dort tatsächlich
Angebote gibt, die nicht von der Kasse gezahlt werden aber
trotzdem richtig gut sind.
Dann kommt eben, was kommen muss, der Patient
greift zu, laesst eine ueberfluessige Sache machen, zahlt dafuer richtig
viel Geld,
mmmmmmmmmmmmmhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
na, letztendlich hat die KK schon einen Ermessensspielraum,
welche Leistungen Sie doch erbringt / erstattet.
Gruß Bully
Hallo Bully,
auch so ein Irrtum, der sich weit verbreitet hat - "Kulanz" heisst das Zauberwort.
Es gibt zwei Gründe, die den "Ermessensspielraum" einer Kasse in solchen Sachen erheblich einschränken.
Der eine Grund ist der, dass Kulanz immer nur dann einsetzt, wenn eine Kasse einem Versicherten trotzdem eine Leistung zugesteht, die diesem nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht zusteht (Beispiel - Gesetz sieht Kostenübernahme für Brillengestelle nicht vor - Kasse zahlt trotzdem). Das Problem an diesen Kulanzentscheidungen ist die Finanzierung solcher Sonderentscheidungen, aus dem Gesundheitsfonds werden solche Sache nicht finanziert, bleiben demnach nur die Verwendung von "Überschüssen" übrig, so sie denn vorhanden sind, bzw sein werden.
Ein weiterer Grund - bei einer einer gesetzlichen Krankenkasse handelt es sich um eine Solidargemeinschaft, d.h. wenn eine "Kulanzentscheidung" getroffen wird, muss der Entscheider davon ausgehen, dass die Solidargemeinschaft damit einverstanden ist, dass einem Einzelnen eine Leistung trotzdem bewilligt wird, obwohl sie ihm rechtlich nicht zusteht ??
Und selbst wenn er dies voraussetzt, schafft er damit einen Präzedenzfall, der
dann selbstverständlich für künftige Fälle immer als Entscheidungsgrundlage dient bzw. dienen muss. ??
Hinzu kommt auch noch, dass sich solche "Kulanz-Leistungen" herumsprechen, nicht zuletzt auch beim Arzt landen, dem dies natürlich in die Karten spielt - "Reichen Sie die Rechnung ruhig bei Ihrer Kasse ein, ich weiß von einem anderen Patienten, dass er/sie dort eine Kostenerstattung erhalten hat" - super ??!!
Eine riesiges Problem !! Wir reden hier nicht vom Ausnahmefall, bei dem die Kasse den MDK einschaltet um prüfen zu lassen, ob hier nicht trotzdem Leistungspflicht im Rahmen der Ermessensprüfung vorliegt, sondern wir reden von den ganz alltäglichen Fällen, IGEL-Leistungen eben.
Du bist selbst Mitglied einer GKV ??!! - Ist es tatsächlich in deinem Sinne, dass anderen Versicherten solche Kulanzleistungen bewilligt werden, dir aber
nicht - und wenn du nicht zum Arzt gehst, bist du damit einverstanden, dass deine Beiträge für solche Entscheidungen verwendet werden - ich bin auch Mitglied einer GKV-Kasse (natürlich), und ich bin es nicht !!
Gruss
Czauderna
Verfasst: 18.05.2012, 13:58
von vlac
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