Ärzte nicht so arm wie sie behaupten
Verfasst: 24.10.2010, 16:51
Ärzte sind längst nicht so arm wie sie behaupten
(http://www.welt.de/wirtschaft/article10 ... reqdrucken)Welt Online - 24.10.2010 - hat geschrieben:Die Ärzte verdienen gut wie lange nicht mehr – und sind dennoch unzufrieden. Von der Politik wollen sie einen erneuten Nachschlag.
Vor zwei Jahren habe er 72 Euro pro Patient bekommen, klagt der Lungenarzt aus Mannheim. Jetzt seien es noch 55 Euro. Eigentlich stehe er nur noch in der Praxis, weil er ein "ethisches Verpflichtungsgefühl" habe und - trotz allem - Spaß an seiner Arbeit. Solche Klagen sind Legion und Legende. Ob Orthopäden, Augen- oder Hausärzte: Es gibt kaum einen Mediziner, der sich nicht missverstanden und missachtet fühlt - von Krankenkassen, Ärztefunktionären, der Politik, den Patienten, den Medien. Vor, nach und während einer Gesundheitsreform klagen Ärzte über ihr Einkommen.
Selten ist es genug oder gerecht verteilt, und wenn die Politik keine Schuld hat, dann sind es Kollegen anderer Fachrichtungen oder jene in anderen Bundesländern. Die Rechnung zahlen die Beitragszahler - nicht nur in gesetzlichen Krankenkassen. Auch privat Versicherte fühlen sich zunehmend geschröpft. Dabei gehören die allermeisten Ärzte nach wie vor zu den Topverdienern dieser Republik.
"Die tatsächliche Honorarentwicklung deckt sich nicht mit der öffentlichen Kritik der Ärzte und Ärzteverbände", gibt Andreas Köhler zu, der an der Spitze der halbstaatlichen Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) steht. Oft genug wird er von den eigenen Kollegen verbal verprügelt, zuletzt für eine Honorarreform, die den Ärzten so große Einkommenszuwächse beschert hat wie lange nicht. Unzufrieden sind sie, zumindest wirkt es so. Gut verdienende Ärzte, so hat Köhler festgestellt, meldeten sich nicht zu Wort: "Sie befürchten, dass ihnen etwas weggenommen wird." Vielleicht nervt sie auch, dass sie im bürokratisierten Gesundheitssystem stets als Bittsteller auftreten müssen, statt Preise für Behandlungen selbst setzen zu können.
Aktuell stehen 175 Millionen Euro auf der ärztlichen Wunschliste. Es ist das Sahnehäubchen auf einen Honorarzuwachs von einer satten Milliarde Euro, den ihnen die schwarz-gelbe Koalition 2011 genehmigt. Die große Summe setzt sich aus vielen Teilen zusammen, die sich wiederum ganz unterschiedlich auf die Bundesländer und die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) auswirken. Unterm Strich gibt es für alle Ärzte mehr Geld, aber das reicht nicht allen, erst recht nicht den Bayern. "Wir verlieren in Relation zu den anderen Ländern", klagt der Chef der KV Bayern, Axel Munte. In aufwendigen Schaubildern und Tabellen kann Munte den angeblichen Rückstand darlegen. 175 Millionen Euro seien nötig, damit wirklich alle zufrieden seien, meint er und hat die CSU in Marsch gesetzt, damit sie für einen Honorarnachschlag kämpft. Die Krankenkassen, die das Geld aufbringen müssen, können es nicht fassen: "Jetzt sollen die Ärzte, die beim letzten Mal weniger bekommen haben, mehr bekommen - so kann man sich immer weiter nach oben schaukeln", befürchtet die Chefin des Krankenkassenverbands, Doris Pfeiffer.
Die Jammerei selbst löst Kopfschütteln aus, aber erst recht die Begründung. Kurz gesagt lautet sie: Weil es in Bayern mehr niedergelassene Ärzte gibt, ist die Qualität der medizinischen Betreuung besser und verdient ergo eine höhere Bezahlung. Was auf Mediziner in Ostdeutschland, wo manche Landstriche ganz ohne Arzt auskommen müssen, wie Überversorgung wirkt, wollen die Bayern als "besondere Versorgungslandschaft" schützen lassen. Die Kollegen von der KV Westfalen-Lippe brachte das so auf die Palme, dass sie den Bayern "unkollegiales Verhalten" und "Taschenspielertricks" vorwarfen - was diese "mit äußerstem Befremden" zur Kenntnis nahmen.
Das Hauen und Stechen hat seine Ursache in einem Honorarsystem, das nur wenige Experten verstehen. Die meisten der 150 000 niedergelassenen Ärzte haben davon keine Ahnung, sie haben sich nicht einmal für die jüngsten Reformen an diesem System interessiert - so lange nicht, bis sie die Prognose über ihre Grundvergütung in Händen hielten und geschockt waren. Dass sich diese Basis jedes Quartal noch um Extraleistungen erhöht, wussten viele Ärzte nicht, was ihren Protest nicht schmälerte.
Ziel der Reform war ein gleicher Preis für die gleiche ärztliche Leistung in ganz Deutschland. Den meisten ostdeutschen Ärzten hat das geholfen, den Gutverdienern im Süden nicht; auch innerhalb der Arztgruppen kam es zu Verwerfungen. Die Folge ist das Empfinden, weniger zu bekommen als der Kollege nebenan. Doch was ein Arzt verdient, wissen nur er selbst und sein Steuerberater. KBV-Chef Köhler gibt nach Abzug aller Kosten ein monatliches Netto zwischen 800 und 20.000 Euro an. Das Statistische Bundesamt hat mit seinen jüngsten verfügbaren Daten von 2007 ausgerechnet, dass ein Arzt durchschnittlich 13.666 Euro pro Monat verdient, nach Abzug der Praxiskosten. Das Gremium von Ärzten und Krankenkassen, das die jüngste Honorarsteigerung ausknobelte, ging davon aus, dass ein Arzt, der 50 Stunden pro Woche Kassenpatienten behandelt, gut 100.000 Euro pro Jahr verdienen soll.
Tatsächlich aber sind es mehr. Denn jeder Arzt behandelt auch Privatpatienten, und seinen Kassenkunden verkauft er noch "freiwillige Leistungen", die sie aus der eigenen Tasche zahlen müssen. Beides dient als Kompensation, wenn Einnahmen aus der gesetzlichen Krankenversicherung unzureichend sind oder so empfunden werden. Nach Angaben des Wissenschaftlichen Instituts der AOK bekommt jeder vierte Kassenpatient eine solche Leistung angeboten. Immerhin gut zwei Prozent der Praxiseinnahmen entfallen auf solche Leistungen, deren Notwendigkeit zum Teil umstritten ist.
Privatpatienten zahlen deutlich mehr
Die Privatversicherungen wiederum, die im Gegensatz zu den gesetzlichen Kassen theoretisch unbegrenzt viel Geld für die Behandlung bezahlen, haben in den vergangenen Jahren nicht nur spürbare Ausgabensteigerungen für Arzthonorare konstatiert: Nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Instituts der PKV stieg der durchschnittliche Umsatz pro Arzt durch Privatpatienten zuletzt mehr als dreimal stärker als die Inflation. Zudem stellen die Versicherer fest, dass die Ärzte ihre Abrechnungen gezielt optimieren. Bei besonders ergiebigen Posten in der Gebührenordnung wird doppelt so viel oberhalb des regulären Höchstsatzes abgerechnet als vor zehn Jahren.
Die PKV könne nicht der Zahlmeister sein, der alle Ausfälle ausgleicht, die durch Kürzungen bei den gesetzlichen Kassen entstehen, empört sich PKV-Verbandschef Volker Leienbach. Doch auch er will Einfluss auf Mengen und Preise nehmen, um Kosten zu drücken.
Dagegen aber, man ahnt es, formiert sich Widerstand. Das Bemühen, die Kosten unter Kontrolle zu bekommen, könne er ja verstehen, sagt Peter Engel, der Präsident der Bundeszahnärztekammer. Aber "eine gute zahnmedizinische Versorgung hat ihren Preis".