Der Chef des Bundesversicherungsamtes Maximilian Gaßner spricht über den Gesundheitsfonds, über mangelnde Prävention, Insolvenzen und fairen Wettbewerb.
Herr Gaßner, am Donnerstagabend ist die City BKK endgültig geschlossen worden. Die chaotischen Wochen haben zu großer Verunsicherung geführt. Ist die gesetzliche Krankenversicherung noch eine sichere?
Natürlich sind jetzt Irritationen und bestimmt auch ein gewisses Maß an Unsicherheit in der Bevölkerung entstanden. Aber die gesetzliche Krankenversicherung ist und bleibt eines der zuverlässigsten Sicherungsinstrumente überhaupt. Der Staat steht per Verfassungsauftrag dahinter. Und ich glaube, das weiß die Bevölkerung auch.
Das nützt wenig, wenn die eigene Kasse geschlossen und man anderswo abgewimmelt wird!
Die unverhohlene Zurückweisung der City-BKK-Mitglieder durch andere Kassen war dreist und illegal. Das haben wir nicht vorhergesehen, und das war für mich das zentralste aller Probleme. Wir haben deshalb etwa 15 Kassenvorstände zurechtgewiesen.
Wie viele Mitglieder sind denn abgewimmelt worden?
Bei uns direkt sind etwa 300 Beschwerden angekommen, bei der City BKK mehrere hundert. Es dürften insgesamt an die 1000 Beschwerden gewesen sein. Doch es haben sich bestimmt nicht alle abgewiesenen City-BKK-Versicherten gemeldet. Die Zahl könnte also noch höher sein.
Bußgelder gegen die Kassenvorstände konnten Sie nicht verhängen. Die Bundesregierung will nun Sanktionsmöglichkeiten schaffen. Geht Ihnen der Gesetzentwurf weit genug?
Die Vorschläge könnten noch weitreichender sein. Vorbild ist für mich das Kartellrecht, dort gibt es nette und saftige Bußgeldtatbestände – und die wirken noch immer am besten.
Dass die vergangenen Wochen chaotisch waren, hing auch damit zusammen, dass viele Fragen zum Wechsel der Mitglieder in Hauruck-Verfahren geklärt wurden. Warum war das nicht besser vorbereitet?
Diese Frage müssen Sie den Krankenkassen und ihren Verbänden stellen. Es war allen Beteiligten lange bekannt, dass eine Schließung drohte und welche Rechtsfolgen das Gesetz hieran knüpft. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich um die erste Schließung dieser Größenordnung handelte.
Werden die Mitglieder alle ihre Leistungen, auch Geldleistungen wie das Pflegegeld, rechtzeitig erhalten?
Es ist abgeklärt, dass alle Versicherten ihre Leistungen zu bekommen haben. Dass es im Einzelfall Probleme geben kann, ist nicht auszuschließen. Insbesondere dann, wenn eine aufnehmende Kasse an der Rechtmäßigkeit einer bislang bezogenen Leistung zweifelt.
Sie haben versucht, die City BKK mit einer Sanierung vor der Schließung zu retten, doch die Schulden türmten sich immer weiter auf. Haben Sie die Situation falsch eingeschätzt?
Natürlich sind sie nachher immer schlauer als vorher. Aber dass ein Sanierungsversuch nicht gelingt, ist nicht unseriös. Ich finde es auch im Nachhinein sehr richtig, dass wir eine Sanierung versucht haben. Sie hat nicht geklappt, also haben wir sie abgebrochen. Wir haben rechtzeitig die Konsequenzen gezogen, das ist das Wichtigste.
Die BKK für Heilberufe gilt als nächster Schließungskandidat. Nun wird eine rettende Fusion mit der Pronova BKK versucht. Klappt das?
Ich würde mich freuen. Aber gesichert ist bis dato nichts.
Muss die Kasse geschlossen werden, wenn die Fusion scheitert?
Sie verlangen eine prognostische Aussage von mir.
Werden Sie eigentlich jede Krankenkasse schließen oder in die Insolvenz schicken, die wirtschaftlich nicht mehr leistungsfähig ist?
Ich vermute, es kommt eine Nachfrage zu dieser Frage (lacht). Wir haben eine gesetzliche Regelung, die vorsieht, dass wirtschaftlich nicht mehr leistungsfähige Krankenkassen geschlossen oder in die Insolvenz geschickt werden. Diese Regelung ist im Prinzip zu vollziehen.
Nur im Prinzip?
Natürlich wird die Entscheidung nicht einfach sein, wenn Sie eine Krankenkasse haben, die eine erhebliche Mitgliederzahl hat und deren Schließung oder Insolvenz gravierende Folgen für das Gesamtsystem der gesetzlichen Krankenversicherung hätte.
Also gibt es Krankenkassen, die zu groß sind, um scheitern zu können?
Abstrakt würde ich das so nicht unterschreiben. Aber es ist nicht auszuschließen, dass man diese großen Kassen nicht den simplen Weg einer Insolvenz oder Schließung gehen lassen wird, sondern dass man sich andere Lösungen einfallen lassen wird. So wie das in der Finanzkrise geschehen ist, als bestimmte Banken in diesem Land drohten zu kollabieren und das Finanzsystem mitzureißen.
Die jetzige Situation mit einer Kassenschließung, Kassenfusionen und Zusatzbeiträgen wurde von der Politik herbeigeführt. Ist das Gesundheitswesen dadurch besser geworden?
Im Großen und Ganzen finde ich, dass sich der Gesundheitsfonds bewährt hat. In der Finanzkrise sind die Kassen dadurch nicht in Not geraten. Sie hatten stabile Mittelzuflüsse aus dem Fonds, die sie an Ärzte, Arzneimittelhersteller und Krankenhäuser weiterleiten konnten. Das hat auch die Konjunktur kräftigt gestützt.
Gut für die Konjunktur. Doch der Fonds wirkt wettbewerbsverzerrend. Kassen mit den falschen Versicherten in den falschen Regionen geraten in Schwierigkeiten, weil die dann anfallenden Kosten nicht gedeckt werden.
Trotzdem haben wir einen fairen Wettbewerb. Die Aufgabe des Zuweisungssystems ist nicht, die konkreten, einzelnen anfallenden Kosten der Kassen, sondern Durchschnittskosten abzudecken. Die logische Folge daraus ist, dass manche Kassen mit ihren Kosten über dem Durchschnitt liegen, andere darunter.
Gibt es eine Krankenkasse, die gut geführt ist, aber trotzdem im Minus liegt?
Es kann passieren, dass auch eine gut geführte Krankenkasse mit den Zuweisungen nicht auskommt. Das wäre aber kein Problem, wenn die Kasse in dem Moment, wo sie einen Zusatzbeitrag erhebt, nicht durch Mitgliederflucht abgestraft würde. Wir haben die Zusatzbeiträge bislang noch nicht so in Schwung gebracht, dass sie ein effektives und realistisches Wettbewerbsinstrument sind.
Wo liegt das Problem?
Im Moment machen die Versicherten die subjektive Unterscheidung zwischen Kassen mit Zusatzbeitrag und Kassen ohne Zusatzbeitrag, zwischen zahlen und nicht zahlen. Das löst eine starke aber falsche Reaktion aus. Denn für jemanden, der als regulären Beitrag 300 Euro in die Krankenversicherung einzahlt, steigen die Krankenversicherungskosten auch mit einem Zusatzbeitrag von acht Euro pro Monat nur gering. Das wird so nicht wahrgenommen.
Arbeiten die Kassen wirtschaftlicher als vor den Zeiten des Gesundheitsfonds?
Die Kassen haben in der Tat ein deutlich geschärftes Kostenbewusstsein. Gerade um Zusatzbeiträge zu vermeiden, drehen sie den Euro zweimal um, bevor sie ihn ausgeben.
Sparen sie etwa zu viel?
Wir können feststellen, dass die Krankenkassen an der einen oder anderen Stelle sparen, wo es vernünftiger wäre, wenn sie bestimmte Ausgaben tätigen würden. Ich denke zum Beispiel an bestimmte Leistungen der Prävention oder an innovative Selektivverträge.
Ein Mittel für Kostenreduktionen sind auch Fusionen. Trotzdem hat es in diesem Jahr erst vier Fusionen gegeben. Ist an dieser Front Ruhe eingekehrt oder ist es nur die Ruhe vor dem Sturm?
Nein, es ist keine Ruhe eingekehrt. Derzeit haben wir acht Krankenkassen, die Fusionen angehen möchten. Aber es ist klar, dass die Zahl der Fusionen abnimmt, je weniger Kassen wir haben. Zudem schauen die Kassen genauer hin, ob sich Fusionen wirtschaftlich tatsächlich lohnen.
Der Gesundheitsfonds wird bis zum Ende des Jahres über eine Reserve von 6,9 Milliarden Euro verfügen. Das ist die offizielle Prognose. Politiker fordern nun, die Kassenbeiträge zu senken, die Pharmaindustrie würde gerne den Zwangsrabatt auf Arzneimittel absenken. Was antworten Sie diesen Leuten?
Die Antwort ist einfach: Fünf Milliarden Euro sind bereits verplant. Davon werden zwei Milliarden für die Härtefallregelung bei Zusatzbeiträgen benötigt. Die anderen drei Milliarden sind die Rücklage, die wir per Gesetz vorhalten müssen. Aus dem Jahr 2009 – das Jahr der Finanzkrise – schleppen wir zudem ein Defizit im Fondssystem in Höhe von 2,48 Milliarden Euro mit. Auch das muss bereinigt werden. Es gibt also nichts zu verteilen.
Interview: Daniel Baumann
Zur Person
Maximilian Gaßner ist als Präsident
des Bundesversicherungsamtes der Herr über die gesetzliche Krankenversicherung. Seine Behörde trägt die Aufsicht über fast alle Krankenkassen. Die Ausnahme bilden einige wenige Kassen, die von den Ländern beaufsichtigt werden, dazu gehören zum Beispiel die Allgemeinen Ortskrankenkassen. Zudem verwaltet das Bundesversicherungsamt den Gesundheitsfonds, der allen Krankenkassen ihre Gelder zuweist.
Das Amt führt Gaßner seit März 2010. Davor machte der heute 61-jährige
Jurist Karriere als Richter und Ministeriumsmitarbeiter im Freistaat Bayern,
zuletzt als Leiter der Abteilung Krankenversicherung im Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit. dba
Artikel URL:
http://www.fr-online.de/wirtschaft/-es- ... index.html
Copyright © 2010 Frankfurter Rundschau
fr-online.de/wirtschaft/desaster-mit-ansage/-/1472780/8614426/-/index.html
http://wirtschaft.t-online.de/zusatzbei ... 8614/index