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Familienversicherung während Haft eintragen

Verfasst: 16.07.2015, 12:24
von Rossi
Ich weiss jetzt nicht, ob dies hier schon mal diskutiert wurde.

Wie sieht es in der Praxis der Kassen aus, mit der Eintragung der Familienversicherung während einer Inhaftierung.

Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 1 - 5 SGB V scheidet die Fami während der Haft nicht aus. Lediglich die Leistungsansprüche gegenüber der GKV ruhen gem. § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V, das ist alles.

Diese Zeiten sind ggf. bei der späteren KVdR-Berechnung von entscheidender Wichtigkeit.

Verfasst: 16.07.2015, 13:12
von heinrich
rechtlich vollkommen richtig.

Wie dies technisch abläuft, kann ich allerdings nicht sagen, da isch auf andere Baustelle arbeiten tue

Verfasst: 16.07.2015, 14:24
von Rossi
Okay, bekommen die Kassen für diese Versicherten (Ruhensphase) auch Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds bzw. Risikostrukturausgleich?

Verfasst: 16.07.2015, 16:57
von vlac
Hallo,

zunächst einmal: Sorry für die langen Ausführungen. Ich habe auch ein paar Aspekte gestreift, die ich interessant finde.

Mit der Inhaftierung in einer geschlossenen Haftanstalt endet in aller Regel auch das Beschäftigungsverhältnis "draußen", und damit die Versicherungspflicht. Der Inhaftierte hat Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz (siebter Teil), es sei denn, er oder sie befindet sich in einem freien Beschäftigungsverhältnis (§ 56a StvollzG). In diesem Fall ruht der Leistungsanspruch nach dem StvollzG, und das SGB V ist wieder dran.

Bis dahin ist es aber so: Der Inhaftierte ohne freies Beschäftigungsverhältnis kann nach dem Ende der Versicherungspflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis innerhalb der gesetzlichen Fristen aus der freiwilligen Versicherung austreten, weil er mit dem Anspruch nach dem StvollzG, dessen Leistungsumfang sich nach dem SGB V richtet, über eine anderweitige Absicherung für den Krankheitsfall verfügt.

Tut er das nicht, muss der oder die Inhaftierte Beiträge zur freiwilligen Versicherung abführen, wobei der Leistungsanspruch ruht, weil die Versicherung nach dem StvollzG vorrangig ist. Aber er oder sie bleibt bei der KVdR im Rennen, und kann ganz normal die Familienversicherung für seine Angehörigen in Anspruch nehmen, wenn die die Bedingungen erfüllen.

Das passiert auf dem ganz normalen Wege, wie sonst auch. Ähnlich ist es, wenn ein freies Beschäftigungsverhältnis besteht.

Kehrt der oder die Inhaftierte allerdings der freiwilligen Versicherung den Rücken zu, ist logischerweise auch keine Familienversicherung möglich, und das kann familienrechtlich zu erheblichen Problemen führen, denn die Unterhaltspflicht endet nicht mit der Inhaftierung. Der Unterhaltsverpflichtete muss auch für einen angemessenen Krankenversicherungsschutz für das Kind, die Kinder sorgen, was dann vor allem im Fall der Scheidung sehr oft zu erheblichen Problemen führt, und zwar dann, wenn die Familienversicherung über die Mutter nicht möglich ist.

In diesem Fall müsste der Kindsvater eigentlich entweder dafür sorgen, dass die Kinder über ihn familienversichert werden können, oder aber neben Unterhalt auch die Beiträge von Kind oder Kindern tragen. Beides ist im geschlossenen Vollzug allerdings meist nicht ohne weiteres möglich, oder auch nicht gewollt. Denn so mancher nutzt die Gelegenheit, um seiner Ex eins auszuwischen.

Der Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt bietet nur geringe Entlastung, denn die Zahlungen sind niedrig, auf maximal 72 Monate begrenzt und enden darüber hinaus mit dem zwölften Lebensjahr.

Die Unterschiede zwischen beiden Szenarien sind gravierend, wenn man nicht weiß, wie es geht: Im Falle der freiwilligen Versicherung liegt die Zahlungslast bei ihm selbst, und damit auch die Schulden, die sich aus der Nichterfüllung geben. Im Falle der eigenständigen Versicherung der Kinder, die dann oft in der Not durch die Sorgeberechtigten draußen veranlasst wird, passiert es in diesem Fall dann, dass die Zahlungslast bei der ehemaligen Familie liegt.

Dabei gibt es in diesem Fall einen einfachen Kniff: Man lässt vom Familiengericht feststellen, dass der Inhaftierte zur Zahlung der Beiträge verpflichtet ist. In diesem Fall liegt die Zahlungslast dann, ob er will oder nicht, beim Inhaftierten. Und die Schulden liegen dann meist über längere Zeiträume bei der Solidargemeinschaft.

Ist die Ehe nicht geschieden, ist die Situation nicht selten düster: Denn für die Familie fällt mit der Inhaftierung ein Einkommen weg; die finanzielle Belastung bleibt auch dann bestehen, wenn der oder die Inhaftierte nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt, denn die Familie muss sich weiter krankenversichern, während der Inhaftierte in der Regel nicht zahlungsfähig ist. Es ist also im Grunde die Wahl zwischen Erschießen und Erhängen: Bleibt der Inhaftierte in der Krankenkasse, droht die Überschuldung durch die auflaufenden Beiträge. Geht er, dann muss die Familie irgendwo das Geld für die Beiträge auftreiben, und nicht jeder hat Anspruch auf Sozialleistungen.

Aber: Besteht eine Versicherungspflicht aus anderem Grunde, beispielsweise weil eine Rente bezogen wird, ruhen zwar die Leistungen, aber die Familienversicherung ist auch hier möglich.

Und übrigens, weil's auch immer mal wieder vorkommt: Es ist keine gute Idee, aus der freiwilligen Versicherung auszutreten und einfach die Krankenkassenkarten weiter zu benutzen. Die Krankenkassen bekommen das nämlich mit, was einem dann meist gleich das nächste Verfahren einbringt.

Verfasst: 16.07.2015, 21:26
von heinrich
Rossi,

ich weiß es nicht zu 100 %.

Ich bin aber ziemlich sicher, dass aus dem Fonds nix rauskommt für so eine Zeit des ruhenden Anspruchs.

Verfasst: 17.07.2015, 08:15
von Rossi
Nun ja, vor dem sog. Gesundheitsfonds haben die Kassen nix aus dem RSA bekommen; da bin ich mir sicher. Aus diesen Grunde - so zumindest meine Praxis - haben die Kassen in aller Regel die Fami nicht eingetragen.

Kommen die Kunden ins Rentenalter, dann geht das Theater mit der KVdR los. Welche Kunde kommt auf die Idee, dass während der Inhaftierung die Fami nicht ausgeschlossen ist bzw. denkt daran die Fami einzutragen? Bei einer Haft von ca. 2,5 Jahren in der 2. Hälfte des Erwerbslebens ist man schwups aus der KVdR raus.

Eine AOK hat sich mal strikt gegen die Eintragung der Fami im Rahmen der KVdR gewehrt und diese abgemeiert. Obwohl der Gesetzeswort eindeutig war (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 - 4 SGB V / kein Ausschluss) hat man die Fami nicht eingetragen, weil eben lt. RSA Prüfhandbuch die Fami nicht einzutragen ist.

Guckt ihr hier:


https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... &id=150158

Zitat:
Die Zeit vom 1.1.1989 bis zum 31.7.1990 könne nicht wegen einer Familienversicherung (§ 10 SGB V) im Hinblick auf die Versicherung seiner Ehefrau auf die Erfüllung der Vorversicherungszeit angerechnet werden. Nach Mitteilung der AOK Rheinland/Hamburg habe im Zeitraum vom 1.1.1989 bis zum 31.7.1990 keine Familienversicherung zugunsten des Klägers bestanden. Dies sei nachvollziehbar, wie sich aus den Regelungen über das Verfahren zum Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung (Risikostruktur-Ausgleichsverordnung RSAV) ergebe. Versicherte, deren Leistungsansprüche nach § 16 Abs 1 Nr 2 bis 4 SGB V ruhten, sowie Mitglieder, für deren Beitragsbemessung § 240 Abs 4a SGB V gelte, und deren nach § 10 SGB V versicherte Angehörige seien in den Versichertengruppen nach § 2 Abs 1 RSAV nicht enthalten (§ 2 Abs 5 RSAV). Nach dem RSA-Prüfhandbuch der Prüfdienste des Bundes und der Länder sei eine Berücksichtigung von Haftzeiten in der Familienversicherung unzulässig.


Die Richter hielten allerdings nachfolgendes fest:

Die Zeit vom 1.1.1989 bis zum 31.7.1990 ist gemäß § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V berücksichtigungsfähig, weil der Kläger in dieser Zeit familienversichert iSd § 10 SGB V war. Nach dieser Vorschrift (in der in der Zeit vom 1.1.1989 bis zum 31.7.1990 geltenden Fassung) ist der Ehegatte familienversichert, wenn er 1. seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, 2. nicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 bis 8, 11 oder 12 SGB V und nicht freiwillig versichert ist, 3. nicht versicherungsfrei oder nicht von der Versicherungspflicht befreit ist, wobei die Versicherungspflicht nach § 7 SGB V außer Betracht bleibt, 4. nicht hauptberuflich selbstständig erwerbstätig ist, 5. kein Gesamteinkommen hat, das die gesetzlich bestimmte Grenze überschreitet. Alle diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger in der Zeit vom 1.1.1989 bis zum 31.7.1990.


Für die Berücksichtigung des Klägers als Familienversicherter im Rahmen des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in der Zeit vom 1.1.1989 bis zum 31.7.1990 genügt es, dass er dem Grunde nach familienversichert war. § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V verlangt nicht, dass aus der Familienversicherung ein konkreter Leistungsanspruch erwachsen konnte. Die Ruhenswirkung nach § 16 Abs 1 Nr 4 SGB V wegen des Erhalts von Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz änderte nichts an der grundsätzlich fortbestehenden Familienversicherung.


Ich kann mir vorstellen, dass es zur Zeiten des Gesundheitsfonds nicht anders ist.