Hallo,
auch wenn es schon einige Zeit her ist, möchte ich gerne einige Anmerkungen aus meiner Sicht von außen machen.
Zunächst einmal vermute, ich auf Grund dessen, was ich bisher über Fälle gehört habe, in denen der § 52 SGB V angewandt wurde, dass hier wenigstens Informationen fehlen, die zum Verständnis des Falles notwendig wären.
So erschließt sich auf Grund des Beschriebenen nicht, warum der Arztbrief zur Krankenkasse gelangt ist. Arztbriefe werden ja nicht standardmäßig zur Krankenkasse gesandt. Auch die Bestimmung des Blutalkohols ergibt vor diesem Hintergrund keinen Sinn: Die Narkose wurde gesetzt, bevor das Ergebnis des Tests vorgelegen haben kann.
Dass dann auch noch ein Mitarbeiter der Krankenkasse hingegangen sein soll, und die Leistungen um gut und gerne 50 Prozent kürzt, weil, so dann die Verkündung, das alles nicht passiert wäre, wenn der Betroffene vollkommen nüchtern gewesen wäre, ist ebenfalls etwas, was mir recht komisch vorkommt - schon allein deshalb, weil sich die Krankenkasse der Lächerlichkeit preis geben würde, wenn ein solcher Fall an die Medien gerät: Es ist Teil der Lebensführung in Deutschland, zu Anlässen wie dem Jahreswechsel Alkohol zu konsumieren, und im Grunde würde die Krankenkasse damit sagen, dass sie gerne ihre Untertanen trocken legen, und zumindest für die Gesundheitsversorgung die Prohibition einführen möchte. Oder anders gesagt: Man darf zwar mit bis zu 0,5 Promille Auto fahren, aber wenn dabei was passiert, dann muss man damit rechnen, dass die Kasse nicht zahlt.
Eigentümlich finde ich auch, dass das Ganze ohne Begründung und Benennung von Rechtsgrundlagen erfolgt sein soll. Meiner Erfahrung nach sind sich Krankenkassen durchaus über die hohen Anforderungen im Klaren, die an Entscheidungen in Bezug auf den § 52 (1) SGB V gestellt werden.
Da ich die internen Abläufe in den Krankenkassen nicht kenne, kann ich auch nicht sagen, wie genau solche § 52 SGB V-Entscheidungen getroffen werden. Meinen Erfahrung von außen nach zu urteilen ist es aber überwiegend so, dass bei der Anwendung des Paragraphen stets sehr vorsichtig vorgegangen zu werden scheint, und dass an der Entscheidung über seine Anwendung auch immer mehr als eine Person beteiligt zu sein scheinen.
Denn Gesetzgeber und Rechtssprechung stellen extrem hohe Anforderungen an solche Entscheidungen, und die Krankenkasse muss vor dem Hintergrund der Massivität eines solchen Schritts immer damit rechnen, dass die Sache sehr schnell vor Gericht landet: Entweder wird der Betroffene im Nachhinein mit einer erheblichen Rückforderung von erbrachten Leistungen konfrontiert, oder ihm bricht während seiner Krankheit ein erheblicher Teil seines Einkommens weg.
Krankenkassen haben in der Vergangenheit immer mal wieder die Grenzen des § 52 (1) SGB V ausgetestet: Da wurden mal dem Extremsportler, der sich bei seinem Sport verletzt hat, die Leistungen gekürzt, mal dem Autofahrer, der betrunken ins Auto gestiegen ist, wobei diese Aufzählung nur zur Verbildlichung dient, und nicht abschließend ist.
Im Großen und Ganzen allerdings scheinen mittlerweile so gut wie alle Aktivitäten auf ihre § 52 (1) SGB V-Fähigkeit abgeklopft worden zu sein, und das Gesamtbild, dass sich dabei abzeichnet, zeigt, dass die juristisch wasserdichte Feststellung eines Vorsatzes im Spannungsfeld Gesundheit für Laien noch schwerer vorzunehmen ist, als dies ohnehin schon der Fall ist.
Bei den Begriffen "Verbrechen" und "Vergehen" ist die Situation recht deutlich: § 12 StGB definiert Taten als Verbrechen, die mit einer Mindestfreiheitsstrafe von mehr als einem Jahr belegt werden. Als Vergehen gelten alle Taten, deren Mindestfreiheitsstrafe bei unter einem Jahr oder einer Geldstrafe liegen.
Interessant dabei ist, dass die Krankenkasse in solchen Fällen nicht das Urteil abwarten müssen: Sie darf selbst ermitteln, und, wenn sich dabei das Bild abzeichnet, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung kommen wird, bereits vorab den § 52 SGB V anwenden darf. Ein Beispiel dafür gibt es hier:
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... b&id=53523
In dem dort verhandelten Fall war eine Person bei einem Überfall auf eine Gaststätte durch einen Schuss verletzt worden. Die Krankenkasse hatte bereits vor einem Urteil durch das Strafgericht auf Grundlage der Akten der Staatsanwaltschaft entschieden, dass die Verletzung im Zuge der Begehung eines Verbrechens zugezogen wurde, und Leistungen versagt.
Auch zum Szenarium "Betrunkener Autofahrer" habe ich ein Beispielurteil:
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... &id=127544
In diesem Fall hatte ein Autofahrer unter Alkohol- und THC-Einfluss einen Unfall gebaut, und danach einen Strafbefehl wegen des vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr erhalten, der rechtskräftig wurde. Da ein solcher Strafbefehl einem Urteil gleich steht, war er damit nicht nur wegen eines Vergehens verurteilt, sondern es war auch der Vorsatz fest gestellt.
Gerade der Strafbefehl ist ein interessanter, und auch sehr wichtiger Seitenaspekt des Ganzen, denn viele Betroffene durchschauen weder das Prozedere noch die Tragweite eines Strafbefehls auch nur im Ansatz: Geschaffen, um bei leichteren Vergehen die Justiz zu entlasten, wirkt ein solcher Strafbefehl zunächst einmal auch auf die Betroffenen wie ein einfacher Ausweg - man zahlt eine bestimmte Summe, und die Sache scheint vom Tisch. Manche glaube allerdings auch, der Strafbefehl sei so in Stein gemeißelt.
Das Erstere ist nicht unbedingt so; das Zweitere stimmt überhaupt nicht. Laienhaft zusammen gefasst, ist der Strafbefehl eigentlich nicht mehr als eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die von einem Richter einer Prüfung unterzogen, und dann dem Betroffenen zugestellt wird. Will heißen: Ein Staatsanwalt beurteilt den Fall nach Aktenlage, schreibt in einem Strafbefehlsantrag auf, was er davon hält, und welchen Tatbestand er hier vorwirft, und der Strafrichter beim Amtsgericht schaut dann da drauf, überlegt sich, ob er das für stichhaltig hält, und lässt es dann, samt der Festsetzung einer Geldstrafe dem Betroffenen zustellen. Der Betroffene kann sich dann sagen, dass er das so akzeptiert, oder er kann innerhalb von zwei Wochen wider sprechen.
Widerspricht er, dann kommt es theoretisch zur mündlichen Verhandlung. Es kann aber auch passieren, dass die Staatsanwaltschaft es sich dann anders überlegt, und das Verfahren ganz einstellt. Denn: Ob man dem kiffenden und saufenden Autofahrer wirklich Vorsatz vorwerfen kann, ob er nicht möglicherweise suchtkrank und wenig steuerungsfähig ist, ist nicht so eindeutig, wie es auf die ersten paar Blicke scheint. Zudem sind Blutproben möglicherweise nicht vorschriftsgemäß entnommen worden, und auch die vorgeworfene Tat nicht so eindeutig, wie sie dargestellt wird.
Manche Betroffene denken, wie gesagt, dass der Strafbefehl so fest steht. Sehr viel mehr allerdings machen sich die Rechnung auf, wägen die zu erwartenden Anwalts- und Gerichtskosten gegen die Gesamtsumme des Strafbefehls ab, und akzeptieren ihn dann.
Was dabei dann unter Umständen vergessen wird, ist, dass die Vorwürfe im Strafbefehl auch Auswirkungen anderswo haben können: zum Beispiel bei der Krankenkasse. Ich habe es schon mehrmals erlebt, dass zumindest eine Kasse solche Strafbefehle dazu nutzt, um das Krankengeld zu kürzen, wenn sie davon erfährt, wobei allerdings andere Kassen die Dinge eher entspannter zu sehen scheinen: Letzten Endes kann man bei solchen Personen davon ausgehen, dass sie eher Hilfe bei der Suchtbekämpfung als den § 52 (1) SGB V brauchen.
Der Vorsatz ist im Strafbefehl nun rechtskräftig fest gestellt, die Krankenkasse muss ihn also nicht mehr nachweisen, und muss im Grunde nur noch Ermessen bei der Frage ausüben, ob und wie hoch die Kürzung ausfallen soll. Das Besondere dabei ist, dass die Anforderungen an den Vorsatz im zweiten Teil des (1) niedriger sind, als im ersten Nebensatz. Denn während sich der Vorsatz im ersten Teil des (1) auf die Erkrankung selbst bezieht, beziehen sich die im zweiten Teil des (1) genannten Verbrechen oder vorsätzlich begangenen Vergehen nicht auf die Herbeiführung der Erkrankung selbst, sondern darauf, dass die Erkrankung im Zuge der Begehung eines Verbrechens oder vorsätzlich begangenenen Vergehens erfolgte, die wiederum nicht auf die Herbeiführung der Erkrankung abgezielt haben müssen.
Dementsprechend sollte man sich sehr genau überlegen, wie man verfahren möchte, wenn der Strafbefehl im Briefkasten liegt - steht das Wort "Vorsatz" in irgendeiner Form drin, ist Vorsicht geboten.
Vorab kann die Krankenkasse natürlich auch bereits im Vorfeld den Vorsatz vorwerfen. Nur: Das ist ausgesprochen schwierig, denn ohne Urteil, oder ein eindeutiges Verbrechen muss sie das sehr gut begründen. "Sie sind betrunken ins Auto gestiegen, um einen Unfall herbei zu führen", ist beispielsweise etwas, was nicht reicht. Der Betroffene hat dies vielleicht, vielleicht auch nicht billigend in Kauf genommen, aber dass er tatsächlich, wenn auch nur bedingt, vorsätzlich darauf abgezielt hat, einen Unfall zu bauen, dürfte schwer bis gar nicht nachweisbar sein. Zudem stellt sich immer die Frage, inwieweit eine vorsätzlich herbei geführte Verletzung oder Krankheit Teil eines größeren Krankheitsbildes ist. Und ich bezweifele, dass die Krankenkasse einfach einen vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, also ein vorsätzlich begangenes Vergehen vorwerfen kann - die Staatsanwalt denkt da unter Umständen ganz anders drüber; es mag nie zu einer Verurteilung kommen.
Sie müsste also im Vorfeld nachweisen, dass der Betroffene vorsätzlich den Unfall herbei geführt hat. Und die Abgrenzungen, beispielsweise zur bewussten Fahrlässigkeit, bei der auf den Nichteintritt des Erfolgs, also eines Unfalls, vertraut wird, beispielsweise weil die Gefahren verdrängt werden, dürfte extrem schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein.
Sollte sich das vom Themenersteller Beschriebene tatsächlich so zugetragen haben, würde mich ernsthaft die Begründung dafür interessieren. Auf Grund dessen, was hier beschrieben wurde, kann man dem TE nicht einmal eine bewusste Fahrlässigkeit vorwerfen: Er schreibt ja, er habe kontrolliert getrunken, um am nächsten Tag fahrtauglich zu sein, und der Gesetzgeber gestattet es nun einmal, auch mit einem gewissen Blutalkohol Auto zu fahren. Ein Verbot, im alkoholisierten Zustand die Treppe zu benutzen, gibt es meines Wissens nach nicht.