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Krankengeld

Verfasst: 29.08.2013, 07:51
von CiceroOWL
Die rechtzeitige ärztliche Feststellung des Fortbestehens von
Arbeitsunfähigkeit als Voraus setzung für weiteres Krankengeld

Wolfgang Keller ist Richter am Landessozialgericht Mainz.Wolfgang Keller, Mainz

In der gesetzlichen Krankenversicherung hängt der Anspruch des Versicherten auf Krankengel
d von der ärztlichen Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit ab. Dies gilt auch für das Fortbestehen des Kran¬kengeldanspruchs wegen weiterer Arbeitsunfähigkeit. Diese bestätigen Ärzte nicht selten rückwir¬kend für einen oder mehrere Tage vor dem Zeitpunkt ihrer erneuten persönlichen Untersuchung des Versicherten. Sie meinen, dass die erst nachträgliche Feststellung von Arbeitsunfähigkeit nach den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (AU-RL) für den Anspruch des Versicherten auf Fortzahlung von Kran¬kengeld unschädlich sei. Welche Probleme dadurch entstehen können, wird im Folgenden behandelt.


I. Regelungen in den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien
Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erlassenen
AU-RL1 beruhen auf dessen Ermächtigung, die zur Sicherung der
ärztlichen Versorgung über die Gewähr für eine ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten er
forderlichen Richtlinien über die Beurteilung der Arbeitsunfähig
keit zu beschließen (§ 92 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 7 SGB V).
Sie nehmen nach § 91 Abs. 6 SGB V Rechtsverbindlichkeit gegen
über den Versicherten, den Krankenkassen und den Vertragsärzten
in Anspruch, dürfen aber die gesetzlich festgelegten Vorausset
zungen des Krankengeldanspruchs nicht verändern.
In § 4 AU-RL („Verfahren und Feststellung der Arbeits¬unfähigkeit") ist in dessen Abs. 1 und 2 formuliert:
(1) Bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sind körper¬licher, geistiger und seelischer Gesundheitszustand des Versi¬cherten gleichermaßen zu berücksichtigen. Deshalb dürfen die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit und die Empfehlung zur stufenweisen Wiedereingliederung nur auf Grund ärztlicher Untersuchungen erfolgen.
(2) Die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit ist Vorausset¬zung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheits¬fall und für den Anspruch auf Krankengeld.
§ 5 AU-RL betrifft die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit im Entgeltfortzahlungszeitraum. Dessen Abs. 3 Satz 2 lautet:
(3) ... Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissen¬hafter Prüfung und in der Regel nur bis zu zwei Tagen zulässig.
In § 6 AU-RL ist die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit nach Ab
lauf der Entgeltfortzahlung geregelt. Dort heißt es in Abs. 2 und 3: (2) Die Bescheinigung für die Krankengeldzahlung soll in der Regel nicht für einen mehr als sieben Tage zurückliegenden und nicht mehr als zwei Tage im Voraus liegenden Zeitraum erfolgen. Ist es auf Grund der Erkrankung oder eines besonde
1 I.d.F. v. 1.12.2003, BAnz. 2004 Nr. 61, zuletzt geändert am 21.6.2012, BAnz. AT 7.9.2012 B4.
ren Krankheitsverlaufs offensichtlich sachgerecht, können längere Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werden. (3) Die Bescheinigung über die letzte Arbeitsunfähigkeitsperiode ist dann zu versagen, wenn der Kranke entgegen ärztlicher Anordnung und ohne triftigen Grund länger als eine Woche nicht zur Behandlung gekommen ist und bei der Untersuchung arbeitsfähig befunden wird. In diesem Falle darf lediglich die Arbeitsfähigkeit ohne den Tag ihres Wiedereintritts beschei-nigt werden; zusätzlich ist der vorletzte Behandlungstag anzugeben. Erscheint ein Versicherter entgegen ärztlicher Auffor¬derung ohne triftigen Grund nicht zum Behandlungstermin, kann eine rückwirkende Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit versagt werden. In diesem Fall ist von einer erneuten Arbeits¬unfähigkeit auszugehen, die durch eine Erstbescheinigung zu attestieren ist.
II. Erfordernis vorheriger ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V)
Bei Versicherten, die sich in Krankenhausbehandlung oder in Be¬handlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung be¬finden (§ 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V), und bei Beziehern von Arbeitslo-sengeld (§ 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V) wird Krankengeld vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten an gewährt. Anson¬sten entsteht der Anspruch des arbeitsunfähigen Versicherten auf Krankengeld nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V grundsätzlich erst von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Ar¬beitsunfähigkeit folgt. Das Bundessozialgericht (BSG) geht zu Recht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Gesetz keinen Anlass für das Verständnis dieser Regelung als bloßer Zah-lungsvorschrift und für ein Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld nach § 44 SGB V allein wegen des Bestehens von Arbeitsun¬fähigkeit bietet.2 Dafür sprechen nicht nur der Gesetzeswortlaut des § 46 Satz 1 SGB V („Der Anspruch...entsteht..."), sondern auch der Zweck und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift.3 Mit dem
2 BSG, Urt. v. 26.6.2007 - B 1 KR 37/06 R, SozR 4-2500 § 46 Nr. 2 = juris Rn. 12.
3 Dazu BSG, litt v. 18.3.1966 - 3 RK 58/62, BSGE 24, 278 ff., 279.

Erfordernis der vorgeschalteten ärztlichen Feststellung der Ar¬beitsunfähigkeit sollen Missbrauch und praktische Schwierig¬keiten vermieden werden, zu denen die nachträgliche Behauptung der Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Feststellung bei¬tragen könnten.4 Bereits nach § 182 Abs. 3 Satz 1 RVO i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesse¬rung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheits¬falle vom 12.6.19618 begann das Krankengeld mit dem Tag, der auf den Tag folgte, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festge¬stellt war. Im Laufe des damaligen Gesetzgebungsverfahrens hatte der Bundesrat diese Vorschrift als bedenklich erachtet, da der Zeit¬punkt der ärztlichen Feststellung aus vom Kranken nicht zu ver¬tretenden Gründen erheblich später liegen könne als der tatsächli¬che Eintritt der Arbeitsunfähigkeit.6 Dennoch war es bei der vorgesehenen Regelung verblieben. Denn in den Beratungen des Vermittlungsausschusses war die Mehrheit der Auffassung gewesen, dass eine Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vor der ärztlichen Inanspruchnahme generell ausgeschlossen werden müsse, auch wenn dies im Einzelfall zu Härten führe! Mit der Neuregelung im SGB V war im Vergleich zur RVO keine grundlegende Änderung der Anspruchsvoraussetzungen beabsichtigt.8
Dass Krankengeld nur nach ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gezahlt wird, ist allgemein bekannt. Die Rechtslage bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit ist den Versi¬cherten und Ärzten demgegenüber nicht so geläufig. Hier gilt: Krankengeld wird regelmäßig abschnittsweise für die Dauer der ärztlichen Krankschreibung bewilligt? Für jeden neuen Bewilli¬gungsabschnitt ist der Anspruch auf Krankengeld eigenständig zu prüfen.83 Damit der Krankengeldanspruch aus der Beschäftigten¬versicherung erhalten bleibt, muss die weitere Arbeitsunfähigkeit nach gefestigter Rechtsprechung des BSG spätestens am letzten Tag des zuvor ärztlich bescheinigten (voraussichtlichen) Arbeits-unfähigkeitszeitraums" durch einen Arzt festgestellt sein.'
Beispiel: Bei ärztlich bestätigter Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 3.1.2013 bis zum 18.1.2013 bedarf es einer neuen persönlichen Unter¬suchung des Versicherten und ärztlichen Feststellung fortdauernder Arbeitsunfähigkeit spätestens am 18.1.2013. Fehlt es hieran, kommt bei ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit nur unter bestimmten Vorausset¬zungen (keine Ausübung einer Erwerbstätigkeit; kein Bestehen eines vorrangigen Versicherungsverhältnisses ohne Anspruch auf Krankengeld)13 gemäß § 19 Abs. 2 SGB V ein nachgehender Leistungsanspruch für längstens einen Monat in Betracht. Ein neuer Krankengeldanspruch des arbeitsunfähigen Versicherten entsteht gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V erst wieder an dem Tag nach der erneuten ärztlichen Feststel¬lung von Arbeitsunfähigkeit, und auch nur dann, wenn der Betroffene zu diesem Zeitpunkt in einem Mitgliedschaftsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld steht.
4 BSG, Urt. v. 8.11.2005 - B 1 KR 30/04 R, BSGE 95, 219, 222.
5 BGBl. I S. 913.
6 Vgl. BT-Drucks. 2864, 3. Wahlperiode und Verhandlungen des Bundesrats, 234. Sitzung v. 16.6.1961, S. 156 D.
7 Vgl. Verhandlungen des Bundesrats, 235. Sitzung v. 30.6.1961, S. 163 D.
8 Gesetzesbegründung zum GRG, abgedruckt bei Hauck/Noftz, SGB V, M 010,
S. 94 zu § 45.
9 Dazu und zu möglichen Ausnahmen vgl. BSG, Urt. v. 22.3.2005 - B 1 KR 22/04 R, BSGE 94, 247, 255.
10 BSG, Urt. v. 10.5.2012 - B 1 KR 19/11 R, für SozR vorgesehen Rn. 18.
11 Zur Möglichkeit des Arztes, Arbeitsunfähigkeit ohne Endzeitpunkt zu bestä¬tigen, BSG, Urt. v. 10.5.2012 - B 1 KR 20/11 R, für BSGE vorgesehen
Rn. 13.
12 St. Rspr., z. B. BSG, Urt. v. 10.5.2012 - B I KR 19/11 R, für SozR vorgese¬hen Rn. 18.
13 Dazu vgl. Brandts, in: Kasseler Kommentar, § 19 SGB V, Rn. 27 ff
Zum Verständnis der rechtlichen Zusammenhänge ist es wichtig, zu unterscheiden zwischen:
- der ärztlichen Feststellung des (Fort-)Bestehens von Arbeits¬unfähigkeit, die durch jeden Arzt, nicht nur durch einen Vertragsarzt,14 möglich ist, aufgrund persönlicher Untersu¬chung des Versicherten. Die unterbliebene rechtzeitige ärzt¬liche Feststellung der (weiteren) Arbeitsunfähigkeit führt grundsätzlich zum Erlöschen des Krankengeldanspruchs.15
- der Bescheinigung der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähig¬keit (vgl. § 73 Abs. 2 Nr. 9 SGB V). Für diese wird regelmäßig der von den Krankenkassen vorgesehene Vordruck verwendet, was aber nicht zwingend ist.' Sie muss nicht notwendig un¬mittelbar nach der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähig¬keit ausgestellt werden, auch wenn die Ärzte regelmäßig so verfahren.
- der Meldung der (fort)bestehenden Arbeitsunfähigkeit durch den Versicherten an die Krankenkasse. Das Fehlen der Mel¬dung hat gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V das Ruhen des An¬spruchs auf Krankengeld zur Folge, außer wenn sie innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit nachgeholt wird. Die Meldung durch den Versicherten ist entbehrlich, wenn schon der Arzt die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse mitgeteilt hat.17
III. Ausnahmen von der Notwendigkeit der vorherigen ärztlichen Feststellung
des (Fort-)Bestehens von Arbeitsunfähigkeit
1. Allgemeine Grundsätze
Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Ausschlussregelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V - ebenso wie die Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V - grundsätzlich strikt zu handhaben. Denn bei der ärztlichen Feststellung der (fort)bestehenden Arbeits¬unfähigkeit handelt es sich, ebenso wie bei deren Meldung an die Krankenkasse, um eine Obliegenheit des Versicherten, der deshalb die Folgen einer verspäteten Feststellung oder Meldung tragen muss. Dies gilt regelmäßig auch dann, wenn die Leistungsvoraus¬setzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben sind und den Versi¬cherten keinerlei Verschulden trifft.18
Das BSG lässt indes eng begrenzte Ausnahmen zu, bei denen die fehlende vorherige ärztliche Feststellung des (Fort-)Be¬stehens von Arbeitsunfähigkeit vor dem Ende des zuletzt ärztlich bescheinigten (voraussichtlichen) Arbeitsunfähigkeitszeitraums unschädlich ist.19 Auch insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie für die Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch den Versicherten an die Krankenkasse. Eine Ausnahme setzt Umstände voraus, die nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurech-nen sind. Davon geht die Rechtsprechung bei Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit des Versicherten aus. Sie wendet insoweit die Grundsätze für den Nichtablauf von Ausschlussfristen bei hö¬herer Gewalt entsprechend an.7"
Davon zu unterscheiden sind Sachverhalte, bei denen die unterbliebene vorherige ärztliche Feststellung (fort)bestehender Arbeitsunfähigkeit auf Umständen beruht, die in den Verantwor
14 BSG, Urt. v. 10.5.2012 - B 1 KR 20//11 R, für BSGE vorgesehen Rn. 13.
15 Vgl. BSG, Urt. v. 10.5.2012 - B 1 KR 20/11 R, für BSGE vorgesehen Rn. 18.
16 BSG, Urt. v. 10.5.2012 - B 1 KR 20/11 R, für BSGE vorgesehen Rn. 13.
17 BSG, Urt. v. 10.5.2012 - B 1 KR 20/11 R, für BSGE vorgesehen Rn. 19.
18 BSG, Urt. v. 8.11.2005 - B 1 KR 30/04 R, BSGE 95, 219, 223.
19 BSG, Urt. v. 8.11.2005 - B I KR 30/04 R, BSGE 95, 219, 223 ff.
20 BSG, Urt. v. 22.6.1966 - 3 RK 14/64, BSGE 25, 76 ff.; BSG, Urt. v. 5.5.2009 - B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr. 4 Rn. 71


Geltung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V bisher nicht festgelegt.21 Anwendbar ist hier nach Auffassung des Verfassers der sozialrecht¬liche Herstellungsanspruch.22 Mit diesem kann unter bestimmten Voraussetzungen ein im Rahmen des Sozialrechtsverhältnisses er-forderliches Handeln (z.B. Erfüllung einer Obliegenheit) des Versi-cherten ersetzt werden, das dieser aus Gründen unterlassen hat, die dem Sozialleistungsträger zuzurechnen sind." Die rechtzeitige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist, anders als z.B. der Verbleib des Versicherten im Arbeitsleben,24 keine außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses eingetretene Lebenstatsache, die nicht durch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ersetzbar ist. Vielmehr handelt es sich um einen Vorgang, der sich innerhalb des Sozialrechtsverhältnisses abspielt. Das Fehlen der vorherigen ärzt¬lichen Feststellung des (Fort)bestehens von Arbeitsunfähigkeit kann zudem, wie es für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erforderlich ist, mit verwaltungskonformen Mitteln durch eine zu¬lässige und rechtmäßige Amtshandlung der Krankenkasse ausge¬glichen werden.' Eine solche kann in der Einräumung einer Rechtsstellung (hier: Anspruch auf Krankengeld ohne vorherige ärztliche Feststellung von Arbeitsunfähigkeit) bestehen.26
2. (Mögliches) Fehlverhalten der Krankenkasse
Nach der Rechtsprechung des BSG geht es z.B. zu Lasten der Kran-kenkasse, wenn die vorherige ärztliche Feststellung des Fortbeste¬hens von Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf des zuletzt ärztlich be¬scheinigten Arbeitsunfähigkeitszeitraums infolge der unzutref¬fenden Bewertung der Krankenkasse versäumt wurde, die Beurtei¬lung der Arbeitsunfähigkeit habe sich wegen der Aufgabe des Arbeitsplatzes durch den Versicherten nicht mehr an der zuletzt ausgeübten Tätigkeit auszurichten." Aber auch ein fehlerhafter Hinweis der Krankenkasse an den Versicherten oder dessen be¬handelnden Arzt ist dem Verantwortungsbereich der Kranken¬kasse zuzurechnen.
Dem BSG" zufolge hat die Krankenkasse aber keine Hinweispflicht ohne Auskunftsersuchen des Versicherten oder konkret erkennbaren Anlass. Die Aufklärung über die Notwendig¬keit, rechtzeitig einen Vertragsarzt zur Feststellung weiterer Ar-beitsunfähigkeit aufzusuchen, sei zwar wünschenswert, aber nicht zwingend, wenn die Krankenkasse keine Anhaltspunkte dafür habe, dass der Versicherte bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit den in der vorherigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestä¬tigten (voraussichtlichen) Endzeitpunkt verstreichen lassen werde, bevor er erneut einen Arzt zur Feststellung der weiteren Arbeits¬unfähigkeit aufsuchen werde. Dies entspricht den Grundsätzen der Rechtsprechung zu § 14 SGB 1.29
21 Vgl. BSG, Urt. v. 10.5.2012 - B 1 KR 19/11 R, für SozR vorgesehen Rn.24ff., wo diese Frage letztlich offengelassen, aber jedenfalls im kon¬kreten Fall ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch verneint wurde.
22 Ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.7.2011 - L 16 KR 73/10; Legde, SGb 2008, 415, 417.
23 Zu den Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs Knecht, in: Hauck/Noftz, SGB I, Vorbem. vor K §§ 13-15, Rn. 16 ff.; zum Umfang der durch diesen ersetzbaren Handlungen vgl. BSG, Urt. v. 13.3.2004 - B 13 RJ 16/03 lt, SozR 4-2600 § 58 Nr. 3.
24 Vgl. Mönch-Kalina, in: juris-PK-SGB I, § 14, Rn. 58.
25 BSG, Urt. v. 11.3.2004 - B 13 IU 16/03 R, BSGE 92, 241, 244.
26 Vgl. Seewald, in: Kasseler Kommentar, vor §5 38-47 SGB 1, Rn. 195.
27 BSG, Urt. v. 8.22000 - B 1 KR 11/99 lt, BSGE 85, 271, 276 ff.
7R RSC_ Um. v. 10.5.2012 - B 1 KR 19/11•R, ffar BSGE vorgesehen Rn. 27* ff.
Muss sich für die Krankenkasse jedoch aufgrund beson-derer Umstände des Einzelfalls die Notwendigkeit eines Hinweises a die tungsbereich der Krankenkasse fallen. Das BSG hat sich zur dog-matischen Grundlage ser Ausnahme von der uneingeschränkten n den Versicherten über dessen Obliegenheiten bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit aufdrängen, hat sie diesen erteilen. Anderen¬falls fällt die aufgrund der Unkenntnis des Versicherten unterbliebene ärztliche Feststellung weiterer Arbeitsunfähigkeit in ihren , Verantwortungsbereich. Dies gilt auch, wenn die Krankenkasse dem Versicherten für vorhergehende Zeiträume trotz verspäteter ärztlicher Feststellung fortdauernder Arbeitsunfähigkeit anstands¬los Krankengeld weitergezahlt hatte, ohne ihn darauf aufmerksam zu machen, dass sie zukünftig anders verfahren werde.39
Voraussetzung für die Einbeziehung in den Verantwor-tungsbereich der Krankenkasse ist es allerdings, dass deren Fehl-verhalten ursächlich für die nicht rechtzeitige ärztliche Feststel¬lung weiterer Arbeitsunfähigkeit ist. Sind dafür noch andere Gründe verantwortlich, muss dem Fehlverhalten der Krankenkasse nach den Grundsätzen zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch die Bedeutung der allein wesentlichen Mitursache zukommen?' An dieser Ursächlichkeit fehlt es immer, wenn der Versicherte das Erfordernis der zeitgerechten ärztlichen Feststellung der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit bereits kennt. Wird dem Versicherten dieses nachträglich bekannt, muss er dafür Sorge tra¬gen, dass die ärztliche Feststellung nunmehr so schnell wie mög¬lich erfolgt. Denn er muss alles in seiner Macht Stehende tun, um seine Ansprüche zu wahren.32
3. Fehler des Vertragsarztes
Wie das BSG entschieden hat, zählt es zum Risikobereich der Kran-kenkasse, wenn der vom Versicherten rechtzeitig aufgesuchte Ver-tragsarzt diesen unzutreffend für arbeitsfähig hält.33 Denn der Versi-cherte darf sich auf die institutionell abgesicherte Qualität der ver-tragsärztlichen Versorgung verlassen, solange dem nichts entgegen-steht Nach den Grundsätzen zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist dem Versicherungsträger zwar der Fehler einer anderen Stelle nur zuzurechnen, wenn zwischen beiden eine ,,Funktionseinheir besteht, d.h. wenn die andere Stelle arbeitsteilig bzw. funktionell in die Wahrnehmung der Aufgaben des zuständigen Leistungsträgers eingebunden ist.34 Da sich die Krankenkasse zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit der Versicherten der Vertragsärzte „bedient"35, wirken indes hier Krankenkassen und Vertragsärzte in einer Weise zusammen, die einer Funktionseinheit gleichzustellen ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG muss sich die Kran-kenkasse aber nicht jedes Fehlverhalten des Vertragsarztes zurech¬nen lassen. Von Krankenkassen nicht veranlasste, unzutreffende rechtliche Hinweise und Ratschläge des Vertragsarztes lösen dem BSG zufolge ausnahmslos keine Krankengeldansprüche gegeii Krankenkassen aus.36 Ausgehend davon entlastet es den Versi-cherten z. B. nicht, wenn ihm sein Arzt versichert hatte, eine er¬neute ärztliche Untersuchung vor dem Ende des zuletzt ärzdid bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeitraums sei derzeit entbehr¬lich, weil er nach den AU-RL notfalls später rückwirkend weiten Arbeitsunfähigkeit feststellen dürfe.
30 Vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 24.4.2012 - L 11 KR 384/10, juris.
31 Vgl. Seewald, in: Kasseler Kommentar, vor §§ 38-47 SGB I, Rn. 176.
32 Zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit bei der Krankenkasse durch den Versi cherten vgl. BSG, Urt. v. 8.11.2005 - B 1 KR 30/04 R, BSGE 95, S. 219 228 Rn. 28.
33 BSG, Urt. v. 8.11.2005 - B 1 KR 30/04 lt, BSGE 95, 219, 226.
34 Seewald, in: Kasseler Kommentar, vor §§ 38-47 SGB I, Rn. 184.
35 So BSG, Urt. v. 8.11.2005 - B 1 BR 30/04 lt, BSGE 95, 219. 227.
36 BSG , Urt. v. 10.5.2012 - B 1 KR 19/11 R. Mt» BSGE vorgesehen Rn. 27: abv


IV. Schaffen die AU-Richtlinien ausreichend Klarheit für die Versicherten und Ärzte?
Nach Meinung des BSG37 sind die Regelungen der §§ 5, 6 AU-RL ungeeignet, falsche Vorstellungen über die gesetzlichen Vorausset-zungen des Krankengeldanspruchs und die Obliegenheiten der Ver-sicherten zur Wahrung ihrer Rechte zu erzeugen. Diese Vorschriften könnten nicht so interpretiert werden, dass eine erst rückwirkende ärztliche Feststellung von Arbeitsunfähigkeit für den Anspruch des Versicherten auf Krankengeld unschädlich sei. § 5 AU-RL betreffe nur die Entgeltfortzahlung, nicht aber das Krankengeld. In § 6 AU¬RL gehe es nicht um die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähig¬keit als Voraussetzung des Krankengeldanspruchs, die vielmehr in § 4 AU-RL geregelt sei, sondern um die davon zu unterscheidende Bescheinigung der zuvor ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit. Im Übrigen nehme § 6 AU-RL für sich in keiner Weise in Anspruch, die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen des Krankengeldan¬spruchs zu konkretisieren oder gar zu modifizieren.
Dem BSG ist einzuräumen, dass der fachkundige Jurist die Rechtslage überschauen kann. Diese ist aber für juristische Laien, wozu insbesondere auch die Vertragsärzte zählen, aus den AU-RL nicht klar genug deutlich. Zwar ist allgemein bekannt, dass es ohne ärztliche Bestätigung von Arbeitsunfähigkeit kein Kran-kengeld gibt. Über die konkreten Erfordernisse bei weiterbestehen¬der Arbeitsunfähigkeit herrschen aber nicht nur bei Versicherten, sondern auch bei vielen Vertragsärzten falsche Vorstellungen. Ih¬nen ist die unterschiedliche rechtliche Bedeutung der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit einerseits (vgl. § 4 AU-RL) und der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung andererseits (vgl. § 6 AU¬RL) nicht bewusst. In Gerichtsverfahren zeigt sich, dass die Not¬wendigkeit für den Versicherten, sich spätestens am letzten Tag des vorher ärztlich bescheinigten (voraussichtlichen) Arbeitsunfä¬higkeitszeitraums wieder zu einem Arzt (notfalls auch zu einem ihm fremden und mit der Krankheitsgeschichte nicht vertrauten Mediziner) zu begeben, um den Versicherungsschutz nicht u.U. vollständig zu verlieren, häufig nicht nur den Versicherten selbst, sondern auch den Vertragsärzten nicht bekannt ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass letzteren die AU-RL anders als die für den Nichtjuristen komplizierteren gesetzlichen Vorschriftenregelmäßig durchaus geläufig sind?'
Zur Fehleinschätzung der Rechtslage durch juristische Laien trägt § 6 Abs. 2 Satz 1 AU-RL bei, der von der Möglichkeit der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für einen ,,zurückliegenden" Zeitraum ausgeht. Hier wird nicht verdeutlicht, dass der Verlust des Krankengeldanspruchs droht, wenn es an ei¬ner erneuten ärztlichen Untersuchung vor dem Ende des zuletzt ärztlich bestätigten Arbeitsunfähigkeitszeitraums fehlt. Ähnliches gilt für § 6 Abs. 3 Satz 3 AU-RL, der von einer „rückwirkenden" Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit spricht. Zur Verwirrung trägt weiter bei, dass § 5 Abs. 3 Satz 2 AU-RL in der Zeit der Entgeltfortzahlung eine Rückdatierung des Beginns und der Fort¬auer der Arbeitsunfähigkeit auf einen „vor dem Behandlungsbeginn" liegenden Tag in Ausnahmefällen für zulässig erklärt. Die Gefahr der Fehldeutung der AU-RL durch Vertragsärzte wird im Übrigen dadurch gefördert, dass manche Krankenkassen häufig trotz unterbliebener rechtzeitiger ärztlicher Feststellung von Ar¬beitsunfähigkeit Krankengeld an Versicherte weiterzuzahlen.
Die AU-RL müssen, um ihren Zweck zu erfüllen, so gefasst sein, dass auch für den Nichtjuristen Klarheit besteht. In ihnen muss
37 BSG, Urt. v. 12.5.2012 - B 1 KR 19/11 R, für BSGE vorgesehen Rn. 26.
38 So auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.7.2011 - L 16 KR 73/10, juris Rn. 43.
deshalb deutlich und für einen juristischen Laien verständlich darauf hingewiesen werden, dass die persönliche Untersuchung des Versi-cherten durch den Arzt zur Feststellung fortdauernder Arbeitsunfä-higkeit zwingend spätestens am letzten Tag des zuvor ärztlich be-scheinigten (voraussichtlichen) Arbeitsunfähigkeitszeitraums uner-lässlich ist. Der G-BA sollte im Übrigen bei einer Neufassung der AU-RL möglichst weitgehend Unterschiede zwischen den Vorgaben für den Entgeltfortzahlungszeitraum und für die Zeit danach beseitigen.
V. Auswirkungen der Mängel der AU-RL auf den Umfang des Verantwortungsbereichs der Kranken-kasse
Solange die AU-RL nicht in dem vorgeschlagenen Sinne modifi¬ziert sind, stellt sich die Frage, ob das Fehlen einer vorherigen ärztlichen Feststellung weiterer Arbeitsunfähigkeit, das auf eine unzutreffende Interpretation der AU-RL durch den Vertragsarzt zurückzuführen ist, der Krankenkasse zur Last fällt. Dafür spre¬chen, abweichend von der Rechtsprechung des BSG, gute Gründe. Es ist problematisch, mit dem BSG nur Fehlbeurteilungen der Ar¬beitsfähigkeit von Versicherten durch Vertragsärzte der Kranken¬kasse zuzurechnen, aber ausnahmslos keine anderen Fehler der Vertragsärzte, selbst wenn solche auf unzureichenden Formulie¬rungen der AU-RL beruhen. Unklarheiten von Ärzten über die ge¬setzlichen Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs, die auf für juristische Laien missverständliche Aussagen in den AU-RL zurückgehen, können als „Systemversagen" 39 interpretiert werden. Ein solches steht im Widerspruch zur institutionell gesicherten Qualität der vertragsärztlichen Versorgung, für welche die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung einzustehen haben.
Die vom BSG angesprochene Möglichkeit der Geltend-machung eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs durch den Versicherten gegen seinen behandelnden Vertragsarzt,4° mit dem er ggf. in einem langjährigen Vertrauensverhältnis steht, stellt demgegenüber keinen befriedigenden Ausweg dar. Auch im vorliegenden Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass eine Ausnahme von der strikten Geltung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V ausscheidet, wenn dem Versicherten die Notwendigkeit der recht-zeitigen ärztlichen Feststellung weiterer Arbeitsunfähigkeit bekannt ist, z.B. durch einen Hinweis seiner Krankenkasse. Zwar kann es für den Versicherten praktische Probleme geben, einen zur Untersuchung bereiten Arzt zu finden. Er wird diese aber in aller Regel in den Griff bekommen, wenn er sich frühzeitig um einen erneuten Arzttermin kümmert. Der Vertragsarzt kann dem Versi-cherten u.U. solche Schwierigkeiten ersparen, indem er in geeig¬neten Fällen ohne Endzeitpunkt Arbeitsunfähigkeit feststellt, wenn deren Dauer nicht absehbar ist.41
Vl. Schluss
Es bleibt zu hoffen, dass der G-BA die erforderlichen Klarstelungen in den AU-RL vornehmen wird. Dies ist auch im Interesse der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, denen daran geegen sein muss, dass für die Betroffenen Rechtsklarheit geschaffen wird und unnötige Rechtsstreitigkeiten vermieden werden.
39 Vgl. zu diesem Begriff in anderem Zusammenhang BSG, Urt. v. 3.7.2012 -B 1 KR 23/11 R, für BSGE vorgesehen Rn. 29.
40 Vgl. BSG, Urt. v. 10.5.2012 - B 1 KR 19/11 R, für BSGE vorgesehen Rn. 27.
41 Vgl. oben bei Fn. 11.
Quelle Keller Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit, in die Krankenversicherung 04/2013 Seite 141 -144
Mal für alle die es intressiert.

Verfasst: 29.08.2013, 10:24
von KKA
Den Text hätte man um mindestens die Hälfte unter Beibehaltung des inhaltlichen Wertes kürzer schreiben können. :wink:

Gruss
KKA

Verfasst: 29.08.2013, 11:07
von Poet
"Die Gefahr der Fehldeutung der AU-RL durch Vertragsärzte wird im Übrigen dadurch gefördert, dass manche Krankenkassen häufig trotz unterbliebener rechtzeitiger ärztlicher Feststellung von Arbeitsunfähigkeit Krankengeld an Versicherte weiterzuzahlen."

Aha, also Schuld sind die Kassen, die es mit dem KRG nicht wie andere Kassen gegen den Versicherten handhaben. Das ist ja mal eine Begründung!

Verfasst: 30.08.2013, 07:37
von CiceroOWL
Poet hat geschrieben:"Die Gefahr der Fehldeutung der AU-RL durch Vertragsärzte wird im Übrigen dadurch gefördert, dass manche Krankenkassen häufig trotz unterbliebener rechtzeitiger ärztlicher Feststellung von Arbeitsunfähigkeit Krankengeld an Versicherte weiterzuzahlen."

Aha, also Schuld sind die Kassen, die es mit dem KRG nicht wie andere Kassen gegen den Versicherten handhaben. Das ist ja mal eine Begründung!
Ich denke eher es sollte darauf hingewiesen werden das es hier zu unterschiedichen Handhabungen kommt, die im Sinne einer einheitlichen juristischen Form negativ ist.

Verfasst: 30.08.2013, 11:47
von GerneKrankenVersichert
Ich sehe es auch weniger als Schuldzuweisung, sondern eher als Hinweis, warum Ärzte die Brisanz nicht kennen - bei den Ersatzkassenversicherten (mehr als ein Drittel aller Versicherten) passiert nichts. Allerdings verstehe ich nicht, warum nicht mal von Seiten der Kassenärztlichen Vereinigung eindringlich auf dieses Thema hingewiesen wird, solange die Rechtslage nunmal so ist wie sie ist. Ärzte müssten doch eigentlich in der Lage sein, diese Unterschiede zu erfassen.

Verfasst: 30.08.2013, 21:15
von CiceroOWL
GerneKrankenVersichert hat geschrieben:Ich sehe es auch weniger als Schuldzuweisung, sondern eher als Hinweis, warum Ärzte die Brisanz nicht kennen - bei den Ersatzkassenversicherten (mehr als ein Drittel aller Versicherten) passiert nichts. Allerdings verstehe ich nicht, warum nicht mal von Seiten der Kassenärztlichen Vereinigung eindringlich auf dieses Thema hingewiesen wird, solange die Rechtslage nunmal so ist wie sie ist. Ärzte müssten doch eigentlich in der Lage sein, diese Unterschiede zu erfassen.
Nicht bei allen Ersatzkassen es gibt da denn auch Ausnahmen.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/sozial ... 19326.html

Das Thema scheint sich aber auch weiter medial zu verfestigen.

Verfasst: 31.08.2013, 08:28
von GerneKrankenVersichert
Welche Ersatzkasse ist da genannt? Ich lese nur von AOK und Knappschaft.

Verfasst: 31.08.2013, 08:33
von CiceroOWL
Hatten wir im forum doch auch schon die HKK und die HEK als Beispiel.

hkk.de/index.php?id=383

Verfasst: 31.08.2013, 08:58
von ratte1
Hallo,

m.W. ist das bahnbrechende BSG-Urteil auf eine Klage gegen eine Entscheidung der Techniker Krankenkasse (TK) zustande gekommen...

MfG

ratte1

Verfasst: 31.08.2013, 15:00
von GerneKrankenVersichert
Nach meinen Informationen hatten die Ersatzkassen sich darauf verständigt, die Lücke nicht zu prüfen. Nach dem Urteil gegen die DAK (weil sie die Lücke nicht geprüft hat) sollte neu beraten werden. Bei uns ist noch keine neue Anweisung ergangen, aber zumindest die hkk macht also nicht mehr mit. Interessant. Muss ich am Montag direkt mal intern recherchieren.

Verfasst: 01.09.2013, 12:45
von KKA
Inwieweit findet die Lücke, bzw. die daraus entstehenden juristischen Folgen, Anwendung, wenn im Zahlschein 'bis auf weiteres' angekreuzt ist?

Es ist doch sicher davon auszugehen, das die Formulierung 'b.a.w' einer zeitlichen Begrenzung unterliegt. Gibt es dazu eine gesetzliche Regelung (woraus sich die Lücke erschließen ließe) ?

Gruss
KKA

Verfasst: 01.09.2013, 18:57
von Czauderna
Hallo KKA,
sehe ich nicht, dass der Vermerk "b.a.w" einer zeitlichen Begrenzung unterliegt - dieser Vermerk kann von wenigen Tagen bis ins unendliche gehen. Jedenfalls sehe ich diesen Vermerk auf dem Krankengeldauszahlschein als Garantie dafür, dass man nicht in diese sog.
"BSG-Falle" läuft. Da muss die Kasse schon in irgend einer Form tätig werden (MDK-Gutachten oder Arztanfrage) um daraus eine Ende der
AU. abzuleiten. Jetzt soll es ja schon Kassen geben, die vom Arzt im entsprechenden Feld ein festes Datum verlangen - da liegt es eben am Arzt entsprechend zu reagieren - also wenn ich Arzt wäre und eine Kasse würde das von mir zwingend verlangen, ich würde, wenn baw. nicht akzeptiert würde, ein Datum - 78 Wochen ab Ausstelltag eintragen - grins.
Gruss
Czauderna

Verfasst: 01.09.2013, 19:58
von CiceroOWL
Czauderna hat geschrieben:Jetzt soll es ja schon Kassen geben, die vom Arzt im entsprechenden Feld ein festes Datum verlangen - da liegt es eben am Arzt entsprechend zu reagieren - also wenn ich Arzt wäre und eine Kasse würde das von mir zwingend verlangen, ich würde, wenn baw. nicht akzeptiert würde, ein Datum - 78 Wochen ab Ausstelltag eintragen - grins.
Gruss
Czauderna
http://www.haufe.de/sozialwesen/sgb-rec ... 79866.html
Die fehlende zeitliche Begrenzung gilt selbst dann, wenn der Arzt auf dem Schein selbst den nächsten Untersuchungstermin angegeben hat. So entschied das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in einer jetzt veröffentlichten Entscheidung v. 23.12.2011 (L 5 KR 309/11 B).
hat sich am Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 11.01.2011 (Az. L 4 KR 446/09) orientiert.
Anspruch auf Krankengeld für mehrere Zeitabschnitte aufgrund einer einzigen ärztlichen Feststellung

Leitsätze

1. Streiten Versicherter und Krankenkasse über Krankengeld für mehrere Zeitabschnitte, treffen den Versicherten zur Begründung seines Anspruchs alle Obliegenheiten, die sich daraus ergeben, dass die Erfüllung der leistungsrechtlichen Voraussetzungen für jeden Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen sind.
2. Eine einzige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kann einen Anspruch auf Krankengeld für mehrere Zeitabschnitte begründen und weitere Meldungen der Arbeitsunfähigkeit erübrigen.

A.
Problemstellung
Das BSG hat sich mit dem Anspruch auf Krankengeld beschäftigt. Dabei ging es um einen Anspruch für mehrere Zeitabschnitte. Fraglich war, ob eine einzige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Krankengeld für mehrere Zeitabschnitte begründen kann und sich deshalb weitere Meldungen der Arbeitsunfähigkeit erübrigen.

B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der klagende Versicherte war bei der beklagten Krankenkasse versichert, als seine Beschäftigung als angestellter Kfz-Meister endete. Die Bundesagentur für Arbeit gewährte ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 16.05.2002 bis 18.07.2003. Seit 07.06.2003 war der Versicherte fortlaufend u.a. wegen einer Spinalkanalstenose arbeitsunfähig krank. Ab 19.07.2003 erhielt er von der beklagten Krankenkasse Krankengeld. Der Medizinische Dienst der Krankenkasse (MDK) bestätigte die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit und regte wegen Gefährdung der Erwerbstätigkeit eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in einer orthopädischen Fachklinik an. Der Rentenversicherungsträger bewilligte aber berufsfördernde Leistungen (heute: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben; vgl. § 9 Abs. 1 SGB VI). Hierzu sah sich der klagende Versicherte jedoch gesundheitlich nicht in der Lage.
Sein behandelnder Arzt bescheinigte dem Versicherten dessen weitere Arbeitsunfähigkeit. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit nicht absehbar sei. Die beklagte Krankenkasse entschied aufgrund eines weiteren MDK-Gutachtens, Krankengeld wegen Beendigung der Arbeitsunfähigkeit nur noch bis 12.04.2004 zu zahlen. Erstinstanzlich wurde die beklagte Krankenkasse zur Krankengeldzahlung verurteilt, das Berufungsgericht hingegen lehnte den Anspruch des Versicherten ab.
Mit seiner Entscheidung hat das BSG in der Sache nicht endgültig entschieden, sondern die Angelegenheit an die Vorinstanz, das LSG Stuttgart, zurückverwiesen. Das Urteil des Landessozialgerichts verletze materielles Recht. Die nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG Stuttgart reichten nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Krankengeld-Anspruch zu entscheiden. Es stehe nicht fest, dass der klagende Versicherte vom 13.04. bis 03.12.2004 arbeitsunfähig gewesen sei.
Nach § 44 Abs. 1 HS. 1 SGB V haben Versicherte u.a. Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ein nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V (in der Krankenversicherung der Arbeitslosen) versicherter Arbeitsloser ist in diesem Sinne arbeitsunfähig, wenn er aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr in der Lage ist, Arbeiten zu verrichten, für die er sich der Arbeitsverwaltung zwecks Vermittlung zur Verfügung gestellt hat. Das Krankengeld stellt sich in der Krankenversicherung der Arbeitslosen nicht als Ersatz für Ausfall des früher aufgrund einer Beschäftigung bezogenen Arbeitsentgelte dar, sondern als Ersatz für eine entgehende Leistung wegen Arbeitslosigkeit.
Das BSG stellt fest, dass – aufgrund seiner Rechtsauffassung konsequent – Feststellungen des LSG Stuttgart dazu fehlten, dass der klagende Versicherte in der betroffenen Zeit gesundheitlich nicht (mehr) in der Lage gewesen sei, die Arbeiten vollschichtig zu verrichten, für die er sich der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestellt hatte. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen seien aber die übrigen Voraussetzungen des geltend gemachten Krankengeld-Anspruches erfüllt. Es griffen keine Einwendungen dagegen durch.
So sei die Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 13.04 bis zum 03.12.2004 ärztlich festgestellt gewesen. Bereits am 15.03.2004 habe der behandelnde Arzt bescheinigt, dass Arbeitsunfähigkeit weiterhin bestehe und der Zeitpunkt des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit nicht absehbar sei. Die Erkrankung habe sich gegenüber seinem Bericht an dem MDK vom 17.11.2003 nicht verschlimmert. Die zeitlich weit über den 13.04.2004 hinausreichende Bescheinigung des (Vertrags-)Arztes ist nach Ansicht des BSG nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil die Beklagte entschieden hatte, die Krankengeld-Zahlung an den Kläger mit dem 12.04.2004 zu beenden. Werde das Krankengeld abschnittsweise gewährt, sei zwar das Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen des Krankengeldes für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen. Dieser Grundsatz schließe es indes nicht aus, eine ärztliche Feststellung aus vorangegangener Zeit, die den weiteren Bewilligungsabschnitt mit umfasse, als für § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V ausreichend anzusehen. Das gelte erst recht, wenn – wie hier – der Versicherte sich mit Rechtsbehelfen gegen die Entscheidung seiner Krankenkasse wende.
Die beklagte Krankenkasse könne sich entgegen der Auffassung der Vorinstanzen auch nicht mit Erfolg auf ein Ruhen des Krankengeld-Anspruchs nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V berufen. Danach ruhe der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet werde. Dies gelte nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolge. Auch diese Regelung finde nach ihrem Wortlaut sowie Sinn und Zweck keine Anwendung, wenn ein Versicherter – wie hier der Kläger – sich fristgerecht mit Rechtsbehelfen gegen die Entscheidung seiner Krankenkasse wende, die Krankengeld-Zahlung abweichend von einer ihr vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch innerhalb des Zeitraums zu beenden, für den ein Arzt ihm Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hat. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V solle die Krankenkasse nämlich ebenso wie die Ausschlussregelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V lediglich davon freistellen, die Voraussetzungen eines verspätet geltend gemachten Krankengeld-Anspruchs im Nachhinein aufklären zu müssen. Die Norm solle der Krankenkasse die Möglichkeit erhalten, die Arbeitsunfähigkeit zeitnah durch den MDK überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbräuchen entgegenzutreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können.
Wie bei der ärztlichen Feststellung handelt es sich auch bei der Meldung der Arbeitsunfähigkeit um eine Obliegenheit des Versicherten. Die Folge einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen ärztlichen Feststellung oder Meldung seien deshalb grundsätzlich von ihm zu tragen. Liege der Krankenkasse dagegen eine ärztlich Arbeitsunfähigkeits-Mitteilung zwecks Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für Krankengeld vor, die die Rechtsposition des Versicherten erkennbar stütze, bedürfe es keiner weiteren Arbeitsunfähigkeits-Meldung.

C.
Kontext der Entscheidung
Das BSG hat eine für den Krankengeldanspruch bedeutsame Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung enthält die Aussage, dass bei weiterbestehender Arbeitsunfähigkeit auch eine einzige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit einen Krankengeldanspruch für mehrere Zeitabschnitte begründen und deshalb weitere Meldungen der Arbeitsunfähigkeit erübrigen kann.

D.
Auswirkungen für die Praxis
In der Vergangenheit ist von vielen Krankenkassen in vergleichbaren Fällen das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit und damit ein Krankengeldanspruch bestritten worden. Die Entscheidung des BSG hat hier Klarheit geschaffen. Für die Praxis bedeutet dies eine erhebliche Erleichterung bei der Abwicklung entsprechender Fälle.
(Marburger, jurisPR-SozR 21/2012 Anm. 2)

Verfasst: 01.09.2013, 20:43
von CiceroOWL
http://www.fr-online.de/politik/bahr--k ... 77240.html
"Natürlich müssen die Kassen nachprüfen, ob hinter einer Krankmeldung auch wirklich eine Krankheit steckt», sagte er der «Welt» (Montag). «Falls Krankschreibungen pauschal, massenhaft und nur nach Durchsicht der Akten zurückgewiesen werden, dann ist das nicht in Ordnung.» Bahr sprach sich dafür aus, in Zweifelsfällen genaue Untersuchungen zur Pflicht zu machen. «Jeder Einzelfall muss gewürdigt werden.»
http://www.welt.de/politik/deutschland/ ... erden.html :lol: :lol: :lol: :lol: :lol:

Verfasst: 02.09.2013, 07:57
von Poet
CiceroOWL hat geschrieben:http://www.fr-online.de/politik/bahr--k ... 77240.html
"Natürlich müssen die Kassen nachprüfen, ob hinter einer Krankmeldung auch wirklich eine Krankheit steckt», sagte er der «Welt» (Montag). «Falls Krankschreibungen pauschal, massenhaft und nur nach Durchsicht der Akten zurückgewiesen werden, dann ist das nicht in Ordnung.» Bahr sprach sich dafür aus, in Zweifelsfällen genaue Untersuchungen zur Pflicht zu machen. «Jeder Einzelfall muss gewürdigt werden.»
http://www.welt.de/politik/deutschland/ ... erden.html :lol: :lol: :lol: :lol: :lol:
Mir gefällt der Leittext unter dem Link zum Präventionsgesetz: "Wie die Parteien Politik nur noch simulieren."

Nur in diesem Zusammenhang kann man die Bahr'schen Vorschläge richtig verstehen. Alles Gesagte ist politisch motiviertes salbungsvolles Blablabla. Wenn die Gesundheitspolitik es gewollt hätte, wäre die unsinnige und praxisferne Lückenregelung längst behoben.