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Brutales Gesundheitssystem

Verfasst: 08.08.2013, 12:46
von leonardo
Beim Spiegel ist im Augenblick der Umgang mit Patienten bezüglich dem Krankengeld das Top-Thema:
.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kassen-bedraengen-psychisch-kranke-a-915323.html

Interessant auch, wie gegen die Krankenkasse vor gegangen wird:
"Wagner und ihr Freund folgten dem Vorschlag des Jobcenters und zeigten den Sachbearbeiter und dessen Chefs an - wegen Nötigung."

Oder wovon ich noch nie was gehört habe, gibt's das wirklich ?
"Frau Wagner und ihre Tochter waren zu keiner Zeit ohne Versicherungsschutz und konnten über den gesamten Zeitraum ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen." Hintergrund sei "eine Auffangpflichtversicherung, die zum Tragen kommt, wenn die vorrangigen Versicherungstatbestände nicht greifen".

Verfasst: 08.08.2013, 13:05
von Czauderna
Hallo,
ja, das sind neue Dimensionen, das Mitarbeiter persönlich angezeigt werden.
Jetzt weiss man ja nicht, in welchem Ton der Mitarbeiter mit der Versicherten gesprochen hat - wenn sein persönlliches Verhalten der Anlass für die Anzeige war, dann okay - erlaube ich mir keine Bewertung.
Aber wenn lediglich eine gesetzliche Vorschrift befolgt wurde seitens der Kassenmitarbeiter, dann ist eine solche Strafanzeige dann doch schon bedenklich.
Was die "Anschlussversicherung" angeht, so ist das schon zeit längerer Zeit so, dass bei Ende einer Pflichtversicherung, also in diesem Fall der Krankengeldzahlung, zwar dem Grunde nach auch die Mitgliedschaft endet, aber in der Regel der Betroffene das Recht der Weiterversicherung hatte, welches er noch drei Monate nach Bekanntgabe rückwirkend einlösen konnte.
Ohne Versicherung, das war nur dann der Fall wenn die Vorversicherungszeit nicht erfüllt wurde oder kein Anspruch auf Familienversicherung bestand oder sich der Betroffene, trotz Aufforderung nicht mehr meldete.
Ab dem 01.08.2013 hat sich das auch geändert - wer nach Ende der Versicherungspflicht sich nicht innerhalb von 14 Tagen nach Anzeige bei der Kasse meldet, wird "freiwillig" zwangsversichert, und zwar nahtlos.
Gruss
Czauderna

Verfasst: 08.08.2013, 13:13
von broemmel
Na wenn das wirklich der Rat eines Mitarbeiters vom Jobcenter sein soll dann muss der wohl noch mal in die Ausbildung und vielleicht auch seinen eigenen Status überprüfen.

Mitarbeiter einer Kasse handeln im Namen und im Auftrag der Kasse. Wenn also jemand eine Anzeige loswerden möchte dann muss er die Kasse anzeigen. Die Kasse als juristische Person wird vertreten durch den Vorstand.

Das zeigt mal wieder das man vor solchen Sachen sich unbedingt einen falchlichen Rat einholen soll (Rechtsanwalt).

Aber erst einmal kommt dann wohl der Ärger weil die Staatsanwaltschaft mitteilt das das Verfahren eingestellt wird.

Verfasst: 08.08.2013, 13:28
von leonardo
Nach der Reaktion der Mobil Oil zu urteilen, scheint das mit der Anzeige aber gewirkt zu haben.
Sie wollen ja noch weiter anzeigen:
"Die beiden wollen die BKK Mobil Oil jetzt auf Schadensersatz verklagen."

Da steht auch:
"Es sei "nicht nachvollziehbar, dass die Antragsstellerin (Wagner) nicht auf den Hausbesuch eines Arztes und notfalls des Notarztes bestand".

Gibt es heute überhaupt noch Ärzte, die zu einem GKV-versicherten nach Hause kommen ?
Ich habe mal meinen Allgemeinmediziner diesbezüglich vor Jahren angesprochen, daß er mir nicht den Vogel gezeigt hat, fehlte noch.
Volle Praxis abarbeiten bringt mehr, als spazieren zu fahren.

Verfasst: 08.08.2013, 14:01
von Czauderna
Hallo,
also dieses Argument ist allerdings ein Hohn - ein Hausbesuch für die Ausfüllung eines Krankengeldauszahlscheins oder sogar ein Notarzt.
Unglaublich.
Gruss
Czauderna

Verfasst: 08.08.2013, 14:11
von broemmel
leonardo hat geschrieben:Nach der Reaktion der Mobil Oil zu urteilen, scheint das mit der Anzeige aber gewirkt zu haben.
Sie wollen ja noch weiter anzeigen:
"Die beiden wollen die BKK Mobil Oil jetzt auf Schadensersatz verklagen."

Der Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass jemand eine unlautere geschäftliche Handlung vorgenommen hat...

Wenn die Konstellationen so sind wie beschrieben hat die Kasse entsprechend des BSG Urteils gehandelt. Damit ist dann keine unlautere geschäftliche Handlung erfolgt und der Schensersatz wird abschlägig beschieden.

Da steht auch:
"Es sei "nicht nachvollziehbar, dass die Antragsstellerin (Wagner) nicht auf den Hausbesuch eines Arztes und notfalls des Notarztes bestand".

Gibt es heute überhaupt noch Ärzte, die zu einem GKV-versicherten nach Hause kommen ?

Ja. Gibt es selbstverständlich. Oder meinst Du das jemand mit einer lebensbedrohlichen Herzattacke unbehandelt zu Hause in der Wohnung liegen bleiben muss?

Es gibt die Notrufnummer. Da wird abgefragt um was für einen Notfall es sich handelt. Wenn ein Arzt erforderlich wird, kommt ein Rettungswagen und ein Notarzt.

Wenn ein Arzt nicht direkt erforderlich ist, kommt nur der Rettungswagen. Bei allen anderen behandlungsbedürftigen Erkrankungen ist es zumutbar den Notdienst, ggf. im Krankenhaus von alleine aufzusuchen.

Und das gitlt wirklich unabhängig von der Wohnsituation. Zur Not muss man halt ein Taxi nehmen.

Ich habe mal meinen Allgemeinmediziener diesbezüglich vor Jahren angesprochen, daß er mir nicht den Vogel gezeigt hat, fehlte noch.
Volle Praxis abarbeiten bringt mehr, als spazieren zu fahren.

Verfasst: 08.08.2013, 14:24
von leonardo
Daß im Notfall ein Notarzt kommt, ist klar.
Aber ein fehlender Auszahlschein ist doch kein Notfall.
Also ich glaube nicht, daß heute in einer größeren Stadt noch ein Hausarzt Hausbesuche bei einem GKV-versicherten macht, dem er zumutet, noch laufen zu können.
So was gibt's vielleicht noch auf dem Dorf, wo man sich privat kennt und eine Hand die Andere wäscht.

Echt strategisch weltfremd die MobilOiler.

Verfasst: 08.08.2013, 14:48
von broemmel
Eben. Deshalb wäre es ja auch zumutbar gewesen, ein Taxi zu nehmen und selbständig den Arzt rechtzeitig aufzusuchen.

Verfasst: 08.08.2013, 18:33
von Lady Butterfly
hier wäre es interessant, mehr Informationen zu haben....

was hat die Sachbearbeiterin genau gesagt? und wie hat sie es gesagt?
was ist genau passiert? wann war die Entlassung aus der Klinik, wie ist die Versicherte entlassen worden (arbeitsfähig/arbeitsunfähig), wie lange war die Heimreise (ich denke, wenn die Ankunft am Wohnort nach 18:00 Uhr war, ist es nicht möglich, am gleichen Tag den Hausarzt aufzusuchen), wieso wurde nicht am Folgetag ein Arzt aufgesucht (vielleicht Feiertag?)?

es gibt so vieles, was wir hier nicht wissen......da ist es schwer, den Sachverhalt korrekt zu beurteilen.

@Czauderna
§ 240 Nötigung

(1) Wer einen Menschen [...] durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn [....] die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter [....] seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.
wenn ich mir das so durchlese, kann es durchaus auch sein, dass sich Kassenmitarbeiter der Nötigung schuldig machen - es wird ja sogar ausdrücklich erwähnt, dass es ein besonders schwerer Fall ist, wenn jemand seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

Die Frage ist nur, ab wann ist es Nötigung? Sicherlich ist die Aussage, dass Krankengeldverlust droht, wenn keine durchgehende AU nachgewiesen wird, keine Nötigung. Aber was wäre z. B. (ich denk mir mal einfach irgend was aus) wenn ein Kassenmitarbeiter jemandem, der wg. Burn Out au ist, vor die Alternative stellt: entweder du kündigst deinen Job oder du kriegst kein Krankengeld mehr? ich denke, eine solche Aussage geht schon in die Richtung Nötigung.....und ich glaube auch nicht, dass man sich mit einer solchen Aussage immer hinter seinem Arbeitgeber verstecken kann - selbst wenn man von seinem Chef eine entsprechende Anweisung erhalten hat.

Verfasst: 09.08.2013, 12:51
von KKA
Jede AU Meldung generiert einen neuen Verwaltungsakt (?!). Warum der Gesetzgeber lückenlose AU-Bescheinigungspflicht verlangt ist peripher nachvollziehbar. Das der Gesetzesschreiberling nicht willens oder in der Lage ist eine vom behandelnden Arzt zu bestätigende, den Umständen geschuldete Kulanzzeit von bis zu 3 Tagen nach Ablauf der Meldepflicht einzuräumen, erschließt sich mir nicht.
Dabei sind die Umstände einleuchtend, ja logisch, z.B. späte Reha Entlassung, behandelnder Arzt im Urlaub (wie soll der NICHT behandelnde Arzt adhoc eine AU bestätigen können, ohne den Patienten jemals vorher gesehen geschweige denn begutachtet zu haben?), oder der Patient aus nachvollziehbar gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist.
'Mal eben' ein Taxi bestellen' ist als Antwort ebenso absurd (es soll Menschen geben, die sich ein Taxi nicht leisten können, oder aus geographischen Gründen keinen Zugriff auf Taxis haben), wie der völlig realitätsfremde Aufruf einen Notarzt zu rufen.

Eine Klage wegen Nötigung ist m.E. mangels Beweiskraft ein aussichtsloses Unterfangen. Aussage gegen Aussage, insbesondere bei Verbalauseinandersetzungen, ist selten ein erfolgsversprechender Ausgangspunkt.

Gruss
KKA

Verfasst: 09.08.2013, 12:59
von roemer70
KKA hat geschrieben:wie soll der NICHT behandelnde Arzt adhoc eine AU bestätigen können, ohne den Patienten jemals vorher gesehen geschweige denn begutachtet zu haben?
Genau dafür werden doch Vertreter benannt. Und genau deshalb kann der Vertretungsarzt ja auch eine Untersuchung vornehmen, um die Arbeits(un)fähigkeit beurteilen zu können.
"Nur mal eben so" eine AU abzuholen, egal ob beim regulären Behandler oder beim Vertreter, dürfte es theoretisch gar nicht geben...

Ohne weitere Kenntnisse (und im Artikel fehlen viele wichtige Informationen) kann man zum Geschehenen wenig sagen. Außer, dass die Einschaltung der Presse die BKK wohl hat einknicken lassen.

Verfasst: 09.08.2013, 13:23
von KKA
roemer70 hat geschrieben:
KKA hat geschrieben:wie soll der NICHT behandelnde Arzt adhoc eine AU bestätigen können, ohne den Patienten jemals vorher gesehen geschweige denn begutachtet zu haben?
Genau dafür werden doch Vertreter benannt. Und genau deshalb kann der Vertretungsarzt ja auch eine Untersuchung vornehmen, um die Arbeits(un)fähigkeit beurteilen zu können.
"Nur mal eben so" eine AU abzuholen, egal ob beim regulären Behandler oder beim Vertreter, dürfte es theoretisch gar nicht geben...

Ohne weitere Kenntnisse (und im Artikel fehlen viele wichtige Informationen) kann man zum Geschehenen wenig sagen. Außer, dass die Einschaltung der Presse die BKK wohl hat einknicken lassen.
Bei psychischen Erkrankungen dürfte es auch dem Vertreter schwerfallen eine Spontandiagnose zu stellen.

Und die 'nur mal eben so AU abholen' Mentalität wird in den von mir genannten Beispielsituationen ja geradezu vom Gesetzgeber befeuert, nicht nur im vorliegenden Fall.

Ich habe ich nur meine generelle Ansicht über Erfolgsaussichten in Fällen mit Verbalauseinandersetzungen dargelegt.

Wie stehst du zu einer '3 Tage (Umstands bedingten) Kulanzzeit?

Gruss
KKA

Verfasst: 09.08.2013, 14:17
von Czauderna
Hallo,

ich habe vor etlichen Monaten schon diese Regelung als "Taschenspielertrick" bezeichnet, der in seinen Folgen die arbeitsunfähigen und im Krankengeldbezug stehen Versicherten (Arbeitslose) in existenzielle Nöte bringt. Dies war bestimmt nicht vom Gesetzgeber so gewollt und kann auch nicht im Interesse aller sein. Dass diverse Krankenkassen sich auf diese Regelung und das dafür verantwortliche BSG-Urteil dankbar stürzten und sich seiner bedienten war von Anfang an klar. Dagegen auf dem Rechtswege anzugehen obliegt mit Sicherheit nicht den Krankenkassen, das müssen und sollten andere tun. Trotzdem haben auch die Kasse die Möglichkeit im Rahmen der präventiven Aufklärung und Beratung dafür zu sorgen, dass eben nicht ihre Versicherten in diese "Falle" tappen und auch die behandelnden Ärzte sollten sich im Rahmen ihrer Fortbildung intensiv mit diesem Thema der Au-Bescheinigung auf Auszahlscheinen beschäftigen.
Für eine 3-Tage-Regelung stimme ich ausdrücklich - d.h.wenn innerhalb von drei Tagen nach einem vereinbarten Arzt-Termin eine Feststellung der weiteren AU. erfolgt, dann sollte dies akzeptiert werden in den Fällen, bei denen der normale Termin eben nicht wahrgenommen werden konnte.
Gruss
Czauderna

Verfasst: 09.08.2013, 15:14
von reallyangry
Hallo,
ich bin am 30.05. AU aus der REHA entlassen wurden.
Unterwegs hatte der Zug einen LOK Schaden und so bin ich erst sehr spät nachmittags nach Hause gekommen.
Der erste war ein Feiertag, also bin ich erst am 02.05. bei meiner Hausärztin gewesen, die den Auszahlschein mit dem Datum datiert hat.
Wie lange ist denn AU aus der REHA gültig?
Und: Man hat mir nicht gesagt: Gehen sie zum Hausarzt.
LG
RA

Verfasst: 09.08.2013, 16:17
von Czauderna
Hallo,
die Frage ist nicht, wie lange ist die AU. gültig - das sollten die entsprechenden Angaben auf dem Auszahlschein schon beantworten. Die Frage ist, gilt dieser Auszahlschein, ausgefüllt und festgestellt am 2.5 als ordnungsgemäße AU-Folgebescheinigung ab 30.4. (Entlassungstag Reha).
Ja, wenn aus der Reha als AU. entlassen gilt die sehr wohl. Anders wäre es wenn aus der AU. als af. entlassen.
Gruss
Czauderna