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Nachzahlungspflicht-Befreiung löst das Problem nicht

Verfasst: 14.06.2013, 10:06
von Helmes63
Guten Tag,

... die Befreiung zur Nachzahlungspflicht von Nichtversicherten in der GKV macht heute Schlagzeilen. Aber wer genau hinschaut sieht sofort das es sich hier um eine Befreiung handelt von Zinszahlungen aus der Vergangenheit.

Dieser Bundestagsbeschluß ist sicher überfällt löst aber das Problem ja insofern nicht, weil dadurch immer noch keine Motivation vorliegt zur Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung.

b) In diesem Zusammenhang ist heute in den Medien von einer Dunkelziffer von Nichtversicherten in Höhe von 130.000 zu lesen. Diese Hochrechnung scheint mir noch zu tief gegriffen.

c) Eine Fallkonstellation die hierzu in den Medien gar nicht behandelt wird beschreibt das nachstehende Fallbeispiel:

> mal angenommen ein freiwillig KGV-Versicherter entrichtet für mehrere Monate seine Beiträge nicht ; dann greift im Prinzip nach mehreren Mahnversuchen doch zunächst einmal das gerichtliche Vollstreckungsverfahren
> kann der betreffende GKV-Kassenträger alternativ hierzu nicht auch das Versicherungsverhältnis einseitig aufkündigen.

Verfasst: 14.06.2013, 13:06
von Bodi
Es handelt sich um eine komplette Befreiung, auch die Beiträge werden erlassen.
Wer sich in der Vergangenheit gemeldet hatte und noch Beiträge ausstehen hat, für den gilt die Befreiung insoweit auch rückwirkend.

Die Regelung ist vom Bundestag bestätigt:

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/139/1713947.pdf

Auch der Bundesrat wird die Neuregelungen sicher durchwinken.

Das Problem bleibt jedoch vielfach die künftige Zahlung der Beiträge (Stichwort z.B. relativ hohe Mindestbeiträge für Selbständige).

Grundsätzlich gilt: Wer Krankenversicherungsbeiträge nicht bezahlt, dem droht nach Mahnungen die unmittelbare Vollstreckung. Gerichtsverfahren brauchen die gesetzlichen Kassen (anders als private Gläubiger) nicht.

Kündigen dürfen Kassen allerdings auch weiterhin nicht.

Verfasst: 14.06.2013, 13:50
von amerin
§§ 5, 9, 173ff. SGB V
(PKV: § 206 VVG)

Gleichbehandlungsgrundsatz: GKV-Mitglieder vs GKV-Schuldner

Verfasst: 15.06.2013, 10:55
von Helmes63
Im Prinzip mag das den Kern des Themas zwar treffen. Aber das Thema hat natürlich noch weitergehende Facetten, die man aus einer einfachen Zeitungsmeldung nicht erkennen kann. So könnte ich mir bspw. gut vorstellen, dass die Krankenkassen gegen diese Gesetzesnovelle eine höchstrichterliche Anfechtungsklage einreichen können bis hin zum Bundessozialgericht in Erfurt.

Eine Begründung hierfür wäre bspw. das durch die Gesetzesneuregelung ein entsprechendes Pflichtbewußtsein von freiwillig Versicherten konterkariert wird. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist ein gut das man im Sozialrecht vermutlich auch so interpretieren kann wie hier angedacht ... ?!

> unklar für mich ist in diesem Zusammenhang, ob die GKV-Kassenträger als Verbund auch eine gezielte Klage hierzu in Karlsruhe direkt einreichen könnten.

Verfasst: 15.06.2013, 13:07
von Czauderna
Hallo,
ich sehe keinerlei Grund warum die Kassen sich gegen diese Entscheidung wehren sollten.
1. Mit dem Geld, das nun niedergeschlagen wird und auch mit den Zinsen konnten
sie nicht wirklich rechnen, dies deshalb auch nicht in den Haushalten
berücksichtigen.

2. Mit der Niederschlagung sparen die Kassen Personal- und Verwaltungskosten,
die bisher für die Eintreibung aufgewandt werden mussten.

3. Die "intensiven Prüfungen" ob der Zuständigkeit für eine "Neuversicherung"
werden wahrscheinlich wegfallen - bei Nachweis, dass letzte Kasse GKV
Kasse war besteht freie Kassenwahl (meine Meinung).

4 Durch die Regelung, dass nach Ende einer Versicherungspflicht sich nach
Ablauf von 14 Tagen bei Nichtmeldung nahtlos eine freiwillige Versicherung
anschliesst gibt es keine Nichtversicherten mehr.

Also ich finde die Entscheidung erst mal gut.
Gruss
Czauderna

Verfasst: 15.06.2013, 13:25
von GerneKrankenVersichert
Czauderna hat geschrieben: 4 Durch die Regelung, dass nach Ende einer Versicherungspflicht sich nach
Ablauf von 14 Tagen bei Nichtmeldung nahtlos eine freiwillige Versicherung
anschliesst gibt es keine Nichtversicherten mehr.
Diesen neuen Absatz des § 188 SGB V finde ich ebenfalls richtig gut. Bleibt nur zu hoffen, dass die Versicherten dann, wenn sie wissen, dass Nichthandeln nicht hilft, entweder ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen oder anderweitige Unterstützung suchen werden, denn sonst haben wir in einigen Jahren wieder das Problem mit Beitragsrückständen in den Tausenden bei einigen Versicherten.

Ich wüsste auch nicht, warum die Kassen dagegen klagen sollten. Wenn ich jedoch irgendwann mal brav meine Rückstände gezahlt hätte, würde ich mir eine Klage überlegen.

Verfasst: 15.06.2013, 13:38
von roemer70
Zumindest werden keine rückwirkenden Beitragsrückstände mehr auflaufen (deren Vermeidung halt zur "Schockstarre" einiger Nichtversicherter führte). Und für aktuelle Problematiken gibt es ja ein zeitnahes Forderungsmanagement - konsequent betrieben schützt es davor, dass solche Unsummen überhaupt auflaufen, bevor es an der Tür klopft...

Verfasst: 15.06.2013, 15:14
von Bodi
Dass es keine Nichtversicherten mehr gibt, ist zu viel erwartet. Man denke beispielsweise an Auslandsrückkehrer und hunderttausende Migranten in Deutschland.

Aufschlußreich ist, sich mit den geplanten Änderungen zu befassen:

"(1) Zeigt ein Versicherter das Vorliegen
der Voraussetzungen der Versicherungs-
pflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 erst
nach einem der in § 186 Absatz 11 Satz 1 und
2 genannten Zeitpunkte an, soll die Kranken-
kasse die für die Zeit seit dem Eintritt der
Versicherungspflicht nachzuzahlenden Bei-
träge angemessen ermäßigen; darauf entfal-
lende Säumniszuschläge nach § 24 des Vierten
Buches sind vollständig zu erlassen"

-> Grundsätzlich keine volle Nachzahlung von Beiträgen mehr!

(2) Erfolgt die Anzeige nach Absatz 1
bis zum 31. Dezember 2013, soll die Kranken-
kasse den für die Zeit seit dem Eintritt der
Versicherungspflicht nachzuzahlenden Bei-
trag und die darauf entfallenden Säumniszu-
schläge nach § 24 des Vierten Buches erlassen.
Satz 1 gilt für bis zum … [einsetzen: Tag vor
Inkrafttreten nach Artikel 6] erfolgte Anzei-
gen der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz
1 Nummer 13 für noch ausstehende Beiträge
und Säumniszuschläge entsprechend.

-> bedingt rückwirkend ("soweit noch ausstehend"). Die Kassen werden froh sein, dass sie die Fälle vom Tisch bekommen und als verlängerter Arm des Gesetzes sicher nicht klagen. Aber: Verfassungsrechtlich unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten gegenüber denjenigen bedenklich, die schon gezahlt haben.
Auffallend: Es handelt sich um "Soll-Vorschriften". "Soll" hat m.E. nur einen Empfehlungscharakter, zwingend daran halten müssten sich die Kassen nicht. Bindend würde z.B. lauten: "Die Krankenkasse hat zu..."

"(4) Der Spitzenverband Bund der
Krankenkassen regelt das Nähere zur Ermä-
ßigung und zum Erlass von Beiträgen und
Säumniszuschlägen nach den Absätzen 1 bis
3, insbesondere zu einem Verzicht auf die In-
anspruchnahme von Leistungen als Voraus-
setzung für die Ermäßigung oder den Erlass.
Die Regelungen nach Satz 1 bedürfen zu ihrer
Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesmi-
nisteriums für Gesundheit und sind diesem
spätestens bis zum 15. September 2013 vorzu-
legen.“"

-> SpiBu soll es im Detail richten

Verfasst: 15.06.2013, 22:52
von Rossi
Nun ja, der Spibu wird es ab dem 01.01.2014 alles richten.

Hilft die nunmehr geplante Gesetzesänderung überhaupt?

Alle potentiellen Kunden werden jetzt automatisch in die freiw. Kv. katapuliert. Na wunderbar.

Haben wir in Deutschland damit das Ziel erreicht ein moderner Sozialstaat zu sein?

Die Kunden, die bislang den sog. Anzeigebogen zur Versicherungspflicht nicht eingereicht haben, werden zwangsläufig durch die neue Regelung in die GKV katapultiert.

Na wunderbar. Alle sind versichert.

Dann geht es natürlich weiter; diese Versicherung kostet Kohle. Reagieren alle sofort auf das erforderliche Hinweisschreiben der Kasse!? Ich glaube kaum!

Was passiert danach?

Die Kassen müssen diese Kunden beitragsrechtlich einstufen. Wenn sich der Kunde nicht meldet - davon ist teilweise auszugehen - dann kommt mal wieder die Hardcorenummer und er Kunde wird mit einem schönen Beitrag von 650,00 Glocken (Höchstbeitrag) im Monat beglückt.

Nach Monaten erwacht dieser Kunde aus dem Dornröschenschlaf und will bzw. kann den Höchstbeitrag von 650,00 Glocken nicht zahlen.

Dann kommt die Kasse mit den einheitlichen Grundsätzen des Spibus um die Ecke und sagt; Du hast leider Pech. Für die Zukunft gehen wir mit dem Beitrag runter, aber rückwirkend nicht.

Holla die Waldfee; oder Nachtigall ik hör Dir trapsen.

Die Praxis des neuen Gesetzes wird spannend werden.

Verfasst: 15.06.2013, 22:58
von Czauderna
Hallo,
Und, was wäre die Alternative - beitragsfreiheit ?
Wer kein Geld hat und der Staat nicht hilft, dann beitragsfreiheit ?
Gruss
Czauderna

Verfasst: 15.06.2013, 23:30
von röschen
Rossi hat geschrieben:Nach Monaten erwacht dieser Kunde aus dem Dornröschenschlaf und will bzw. kann den Höchstbeitrag von 650,00 Glocken nicht zahlen.

Dann kommt die Kasse mit den einheitlichen Grundsätzen des Spibus um die Ecke und sagt; Du hast leider Pech. Für die Zukunft gehen wir mit dem Beitrag runter, aber rückwirkend nicht.
Warum eigentlich?
Ich hab vor meiner Berentung in einer Behörde gearbeitet, wo Leute auch einkommensabhängig Beiträge zahlen mussten. Da passierte es auch ab und zu, dass welche erst aufwachten, wenn der Gerichtsvollzieher klingelte, und dann ankamen: "Sorry, ich war ganz übel drauf. Hab mindestens ein halbes Jahr alle Briefe ungeöffnet in eine Schublade geschmissen." Aber die wurden auch noch rückwirkend "richtig" eingestuft, wenn sie dann ihre Nachweise anbrachten.

Verfasst: 16.06.2013, 10:52
von Bodi
Czauderna hat geschrieben:Hallo,
Und, was wäre die Alternative - beitragsfreiheit ?
Wer kein Geld hat und der Staat nicht hilft, dann beitragsfreiheit ?
Gruss
Czauderna
Warum nicht? Es gibt 17,5 Millionen Menschen in Deutschland, die im Rahmen der Familienversicherung beitragsfrei mitversichert sind - übrigens je nach Verteilung der Ehegatten-Einkommen mit zum Teil großen Ungerechtigkeiten. Arbeitet beispielsweise nur ein Ehegatte und verdient 8000 EUR monatlich, ist nur einmal der Höchstbeitrag fällig. Arbeiten beide Ehegatten und verdienen je 4000 EUR monatlich, zahlen beide den Höchstbeitrag. Macht ca. 8000 EUR Mehrbeitrag pro Jahr - bei gleichem Gesamteinkommen.

Weiterhin gibt es nicht wenige Pflichtversicherte, die äußerst geringe Beiträge zahlen - vor allem Rentner mit niedrigen Renten, aber auch geringverdienende Arbeitnehmer (Midi-Job) - und gleichzeitig über hohe Miet- oder Kapitaleinkünfte verfügen, die beitragsfrei sind.

Vor diesem Hintergrund besteht Spielraum, einige 100.000 tatsächlich arme Personen nach Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse beitragsfrei oder zu stark reduzierten Mindestbeiträgen zu versichern.

Verfasst: 16.06.2013, 11:59
von CiceroOWL
Die Grenze leigt bei monatlich 385 € und 451 bei einem Minijob heißt denn also das beim minijob pauschalierte Beiträge abgeführt werden und der Rest wird denn an die Minijobzentrale abgeführt udn da zahlt denn nur der arbeitnehmer.
Ich gebe dir insoweit Recht das natürlich bei keinen Selbständigen die Belastung durch Beitragszahlungen belastend sind. Es gäbe da durchaus die Möglichkeiten im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten die Stituation zu verbessern, allerding für 152 € einen grundlegenden KV / PV Schutz zu erhalten ist meiner Ansicht nach schon recht günstig.

Verfasst: 16.06.2013, 13:14
von Rossi
Okay, Günter, war wäre die Alternative?

Ich habe es bereits in einem anderen Thread eingestellt; die sonstige Versicherten können nur nach dem Mindestbeitragssatz eingestuft werden. Der Höchstbeitragssatz gilt nur bei hauptberuflich Selbständigen. Nur bei den hauptberuflich Selbständigen haben wir nach dem Wortlaut von § 240 Abs. 4 Satz 2 ff. SGB V eine sog. Umkehrbeweislast.

Dass auch bei den sonstigen Versicherten der Höchstbeitrag fiktiv festgesetzt werden kann - sofern keine Nachweise eingreicht werden - ist eine Erfindung des Spibus. Ein Fall liegt ja bekanntlich beim BSG. Aber das LSG hatte schon sehr eindrucksvoll festgehalten, dass der Spibu hier seine Kompetenzen überschritten hat. Aber solange das BSG hierüber noch nicht entschieden hat, müssen bzw. werden sich alle Kasse an die einheitlichen Grundsätze des Spibus halten, was ja auch nachvollziehbar ist.

Verfasst: 16.06.2013, 13:21
von Rossi
@Bodi

Zitat:
Es handelt sich um "Soll-Vorschriften". "Soll" hat m.E. nur einen Empfehlungscharakter, zwingend daran halten müssten sich die Kassen nicht

Hm, jenes habe ich allerdings anders gelernt. "Soll" bedeutet fast unbedingtes muss. Nur in atypischen bzw. außergewöhnlichen Fällen kann ich von dieser Sollvorschrift abweichen. Mit einer Empfehlung hat dies im Ansatz nichts zu tun.

Es gibt drei Grundsätze

- "kann"; dies ist eine Ermessensentscheidung. Hier sind die Gründe aus der Sicht der Versichertengmeinschaft und des Versicherten sorgfältig abzuwägen.

- "soll"; dies ist fast unbedingtes muss. Nur in atypischen bzw. außergewöhnlichen Fällen kann man hiervon abweichen.

- "ist bzw. hat", dies ist zwingend bindent. Es gibt keine Alternative.

Okay, der Spibu hat demnächst Regelungen hinsichtlich dieser "Sollvorschrift" einheitlich für Deutschland zu treffen. Dies ist schon mal sehr positiv, ansonsten müsste es jede Kasse in Deutschland selber machen. Dass dabei total unterschiedliche Ergebnisse dabei herauskommen könnten, dürfte klar sein. Deswegen hat der Gesetzgeber diese Aufgabe dem Spibu übertragen.

Dann packe ich leztzendlich noch einen drauf. Denn der Spibu muss diese Regelungen zuvor mit dem zuständigen Ministerium abklären. D.h., das Ministerium guckt drüber, ob der Spibu seine Hausaufgaben vernünftig gemacht hat. Dann wollen wir uns das Ergebnis der Hausaufgabe mal demnächst ansehen.