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§ 186 Abs. 11 SGB V / Erlass bzw. Ermäßigung der Beiträge

Verfasst: 22.12.2012, 00:19
von Rossi
Nun ja, Deutschland ist seit dem 01.04.2007 ein moderner Sozialstaat. In diesem Staat soll keiner durch die Gegend rennen, der nicht im Krankheitsfall abgesichert ist.

Dafür hat man die Versicherungspflicht der sog. Nichtversicherten gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V geschaffen.

Allerdings rennen auch noch heute viele Schäfchen in Deutschland herum, die von der Versicherungspflicht ab dem 01.04.2007 noch nicht eingefangen worden sind.

Aber irgendwann kommt der Tag und die Kasse schlägt rückwirkend ab dem 01.04.2007 zu.

Es werden in der Regel mega Beitragsbescheide rückwirkend erlassen mit exorbitanten Nachforderungen.

Es soll schon Betroffene geben, die genau hier Angst haben und sich deswegen nicht trauen Kontakt mit der Kasse aufzunehmen.

Der Gesetzgeber hat an solche Konstellationen sehrwohl zum 01.04.2007 gedacht und den Kassen den Auftrag erteilt in den Satzungen zu regeln, dass für die verspätete Anzeige dieser Versicherungspflicht, die nachzuzahlenden Beiträge zu stunden, zu ermäßigen oder gar komplett zu erlassen sind.

Leider führt dieser gesetzgeberische Auftrag bei den Kassen ein völliges Schattendasein. Es wird vielfach die Kanone herausgeholt und auf einen Spatzen mit einem riesen Nachzahlungsbescheid geballert.

Die Praxis zeigt leider, dass sich hiergengen fast keiner wehrt.

Es gibt natürlich Ausnahmen.

Und so einen Fall (Ausnahme / man wehrt sich gegen den riesigen Nachzahlungsbescheid der Kasse) stelle ich hier mal kurz vor Weihnachten ein.

Diese Entscheidung entspricht genau meiner eigenen und persönlichen bescheidenen Rechtsauffassung, die ich bislang immer so verkauft habe. In den Fällen, in denen ich mich persönlich ziemlich intensiv für die Kunden eingesetzt habe, hat es in der Regel immer funktioniert. Die war aber leider ein unermündlciher Kampf gegen die Kasse.

Hier die Entscheidung:




https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... sensitive=

Zitat:
Die von der Beklagten geschaffene Satzungsregelung läuft dieser gesetzlichen Intension jedoch voll entgegen: Sie führt zu einer rechtswidrigen Verkürzung der Rechtsposition des Versicherten: Durch die Regelung in § 20 a der Satzung der Beklagten wird die unmittelbare Anwendung des § 76 Abs. 2 SGB IV ausgeschlossen. Die Beklagte hat in ihrer Satzungsregelung eine Anwendung der in § 76 Abs. 2 enthaltenen Stundungs-, Niederschlagungs- und Erlassmöglichkeiten nur unter der zusätzlichen Voraussetzung vorgesehen, dass das Mitglied die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 unverschuldet zu spät angezeigt hat. § 76 Abs. 2 SGB IV enthält eine derartige - den Anwendungsbereich einschränkende - weitere Tatbestandsvoraussetzung nicht. Legt man bei der Prüfung des Verschuldens auch noch den Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen (vgl. BSG 08.02.2007 – B 7 a AL 22/06 R -) zugrunde, wonach die bloße Unkenntnis der Meldepflicht ein Verschulden des Versicherungspflichtigen begründet, so läuft der Anwendungsbereich der im Gesetz und in der Satzung enthaltenen Möglichkeiten einer Stundung, Niederschlagung oder eines Erlasses von Beitragsforderungen gegen Null. Stattdessen wollte aber der Gesetzgeber zusätzlich zu den Stundungs- Niederschlagungs- und Erlassmöglichkeiten in § 76 SGB IV eine zusätzliche Härteklausel in § 186 Abs. 11 Satz 4 SGB V schaffen. Die in § 20 a der Satzung der Beklagten enthaltene Regelung, dass die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 SGB IV nur unter der zusätzlichen Voraussetzung geprüft werden, ob das Mitglied die Meldepflicht unverschuldet nicht kannte, ist daher wegen Verstoßes gegen die höherrangige gesetzliche Regelung rechtswidrig. Die Beklagte ist daher nicht berechtigt, die Ablehnung des vom Kläger beantragten Erlasses der Beitragsforderung bzw. deren Niederschlagung oder Stundung, gestützt auf § 20 a der Satzung, abzulehnen.

Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, die vom Kläger gestellten Anträge auch nach § 76 Abs. 2 SGB IV unmittelbar zu prüfen. Sie hätte prüfen müssen, ob die Einziehung der Beitragsnachforderung im Hinblick auf die Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Hierbei sind die vom Kläger vorgetragenen Umstände mit zu berücksichtigen: Der Verzicht auf die Beantragung von Arbeitslosengeld II und die Nichtinanspruchnahme von Leistungen der Beklagten sowie die wirtschaftliche Situation des Klägers, der kein nennenswertes Einkommen hat. Unter Berücksichtigung der o.g. Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.03.2007 spricht vieles dafür, die Beitragsnachforderung hier als unbillig im Sinne von § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV anzusehen. Ob die Beklagte jedoch bei Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen die Beitragsnachforderung erlässt, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Da die Beklagte die Vorschrift des § 76 Abs. 2 SGB IV unmittelbar nicht angewandt hat, ist das Gericht auch nicht berechtigt, Ermessen anstelle der Beklagten auszuüben. Der angefochtene Bescheid war daher wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig und deswegen aufzuheben. Bei erneuter Bescheiderteilung muss die Beklagte die Interessen des Betroffenen mit denen der Öffentlichkeit abwägen. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass das Interesse der Öffentlichkeit an einer Beitragserhebung für Zeiträume, in denen der Versicherte keine Leistungen mehr in Anspruch nehmen kann wesentlich geringer ist, als die Nacherhebung für solche Zeiten, in denen der Versicherte Leistungen bezogen hat. Andererseits ist zu berücksichtigen, ob unabhängig davon die Beitragsnachforderung zu existenzbedrohenden Zuständen führt. Auch dafür sprechen hier die Umstände des Einzelfalles.


Ganz wunderbar ist die Feststellung des SG; dass die von der Beklagten geschaffene Satzungsregelung der gesetzlichen Intension jedoch voll entgegen steht.



Alle Krankenkassen in Deutschland haben hinischtlich der Nachzahlung von Beiträge etwas in der Satzung zu regeln.

Es ist davon auszugehen, dass alle Kassen in Deutschland den Mustervorschlag der Satzungsregelung aus dem GR vom 27.03.2007 übernommen haben. Diese Kasse hier auch.

Also ist zumindest lt. Festellung des SG dies völlig daneben.

Auch der Hinweis der Kassen auf die formelle Pulizitätswirkung von Gesetzes hinkt nach der Feststellung des SG.

Zitat:
Legt man bei der Prüfung des Verschuldens auch noch den Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen (vgl. BSG 08.02.2007 – B 7 a AL 22/06 R -) zugrunde, wonach die bloße Unkenntnis der Meldepflicht ein Verschulden des Versicherungspflichtigen begründet, so läuft der Anwendungsbereich der im Gesetz und in der Satzung enthaltenen Möglichkeiten einer Stundung, Niederschlagung oder eines Erlasses von Beitragsforderungen gegen Null


Ich habe in diesem Forum schon mal einen Einzelfall persönlich begleitet und genau auf die Problematik hingewiesen.

Der Widerspruch war erfolgreich; die Kasse ist eingeknickt und hat nix mehr nachgefordert. Die Kasse hat sogar die bereits gezahlten Raten auf den Rückstand ohne Muillen und Knullen erstattet.

Unser Günter hat es dann als grosses Kino bezeichnet.

Nun ja, ich sehe es nicht als großes Kino an, sondern einfach nur als materielles Recht des Betroffenen an, mehr nicht.