Rückwirkende Änderung der Bemessungsgrenze rechtens?

Fragen zu einzelnen Krankenkassen

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haplox
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Rückwirkende Änderung der Bemessungsgrenze rechtens?

Beitrag von haplox » 21.04.2011, 14:17

Hallo,

es gibt Neuigkeiten - gute und schlechte!

Die Vorgeschichte kann man hier nachlesen: http://www.krankenkassenforum.de/hier-k ... html#27579

Ich hatte bei Gericht um Aussetzung der Zwangsvollzugsmaßnahmen und um sofortige Bearbeitung des Widerspruchs gebeten. Nach einer Woche hatte ich bei Gericht angerufen und man sagte mir, das man bei der Kasse eine Stellungnahme angefordert hatte. Ich habe dann bei Gericht eine vollständige Darstellung des ganzen Sachverhalts nachgereicht, wo ich die Forderung Punkt für Punkt auseinandergenommen habe. Das gleiche habe ich dann als Ergänzung zum laufenden Widerspruch an die Kasse geschickt. Einen Gerichtsentscheid habe ich noch nicht erhalten, aber die Zwangsvollziehung ist seitens der Kasse wohl ausgesetzt worden bzw. ist erst gar nicht veranlasst worden - oh Wunder man hat sich dazu entschieden den Widerspruch zu bearbeiten:


Jetzt habe ich ein neues Schreiben erhalten, zusammengefasst steht da:
"Korrekturbescheid / Abhilfe Ihres Wiederspruchs"

".. unseren Beitragsbescheid vom xx.1.2011" heben wir auf.."
".. Ihrem Widerspruch mit Schreiben vom xx.2.2011 helfen wir mit diesem Bescheid ab"

- Die Grundlage für die Berechnung der Beträge hat sich geändert
- Die Änderungen erfolgen auf Grundlage der Einkommensteuerbescheide 2007 + 2008

#1 01.6.2009 - 31.05.2010 Bemessungsgrenze = ~1400
#2 01.6.2010 - 31.12.2010 Bemessungsgrenze = ~1750
-> neue Forderung beträgt statt ursprünglich 3300 Euro "nur noch" ~2000 Euro + 300 Euro Säumniszuschläge

Begründung der Kasse:
"Die Änderungen erfolgen auf Grundlage der Einkommensteuerbescheide 2007 + 2008"
(obwohl der Einkommensteuerbescheid von 2009 seit dem 10.3.2011 vorliegt)

Dazu die obligatorische Rechtsbehelfsbelehrung am Ende.

Zusammengefasst:

Die Kasse hat Ihre Forderung reduziert,
akzeptiert die ursprünglich falsche Einstufung als "nebenberuflich Selbständiger",
nimmt aber eine rückwirkende Änderung (Erhöhung) der Bemessungsgrenzen von ursprünglich 840 Euro auf 1400/1750 Euro vor.

Mit Ausnahme des Hinweises auf die Einkommensteuerbescheide gibt es keine weiteren Begründungen oder Bezug auf irgendwelche Pragraphen.


Hier noch mal kurz die Zahlen:
- 1-Mann Selbstandig seit 2004, keine Angestellten, freiwillig versichert
- 2007 + 2008 normale, gute Umsätze, zBeitagssatz ~320 Euro
- 2009 Umsatzeinbruch, Vorschlag seitens KK Einstufung als "nebenberuflich Selbständiger"
- Antrag auf "nebenberufliche" Einstufung wird von mir eingereicht und von der KK geprüft und bewilligt
- ab mitte 2009 neue Beitragseinstufung "nebenberufliche selbständigkeit"
zu ~140 Euro Beitrag bei einer Bemessungsgrenze von 840 Euro
- 2009/2010 keine nennenswerten Umsätze ( unter 200 Euro / Monat)


Meine persönliche Einschätzung:
Die Kasse hat eingesehen, das die ursprüngliche Forderung nicht haltbar ist. Also reduziert man die Forderung und denkt sich eine harmlose (wenn auch an den Haaren herbeigezogene) Begründung für eine immer noch erhebliche Nachforderung aus, in der Hoffnung das Beitragszahler glücklich über die Reduzierung ist und die Forderung "schluckt". In meinen Augen ist die neue reduzierte Forderung genau so falsch wie die erste, trotzdem ergeben sich neue Fragen:


#1
Wenn meinem Widerspruch stattgegeben wurde, ist der "Korrekturbescheid" ein neuer separater Vorgang?
Muss ich dagegen erneut Widerspruch einlegen oder müsste ich Klage bei Gericht einreichen?


#2
Die erste Forderung aus 1/2011 ist aus guten Gründen nicht beglichen worden, die Kasse hatte in der Zwischenzeit saftige Sämniszuschläge berechnet. Wenn dem Widerspruch der ersten Forderung stattgegeben wurde, dürfen die Säumniszuschläge ab der ersten Forderung berechnet werden oder erst wenn die neue überarbeitete Forderung in Verzug gerät?


#3
Der Kasse liegt mein Einkommensteuerbescheid von 2009 (mit unter 1000 Euro Jahreseinkommen)
seit 5 Wochen vor, im Korrekturbscheid wird die Neuberechnung mit Hinweis auf die
Einkommensteuerbescheide 2007 + 2008 (wo das Einkommen noch normnal war) vorgenommen.
Ist die nachträgliche Änderung der Bemessungsgrenze zulässig?


#4
Das leidige Thema "Aussetzung der Vollziehung der Forderung" bzw. Ratenzahlung geht in die nächste Runde. Wie ist hier zu verfahren, wie gehabt bei der Kasse Widerspruch einreichen + Aussetzung der Vollziehung beantragen -> bei Ablehnung gleich zum Gericht?


Jetzt ist das schon wieder so ein langer Post geworden... ich danke fürs Lesen und bitte um Eure Einschätzung bzw. Tips zur weiteren vorgehensweise.

Viele Grüße,

Haplox

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 29.04.2011, 19:07

Hallo,
was mir spontan aufgefallen ist und einen Widerspruch darstellt ist folgendes.
Wenn die Kasse dich als "nebenberuflich Selbständigen" bezeichnet dann ist die Mindestbeitragsbemessungsgrenze nicht 1277,50€ sondern nur 851,67 €.
die erstgenannteGrenze gilt nur für "hauptberuflich Selbständige" mit Existensgründerzuschuss oder bei Vorliegen besonderer finanzieller Verhältnisse.
Hiersolltest du der Kasse nochmals gezielt auf den Pelz rücken.
Gruss
Czauderna

Rossi
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Beitrag von Rossi » 29.04.2011, 20:29

Na ja,

was musst Du jetzt machen?

Du hast ja einen - na ja - einen Abhilfebescheid bekommen, richtig?

Was steht denn unter dem Abhilfebescheid als Rechtsmittel drunter? Kannst Du Widerspruch einlegen, oder musst Du Klage erheben.

Vermutlich weiß die Kasse selber nicht, wie es jetzt weitergeht, oder weitergehen kann.

Aber fangen wir mal von ganz vorne an.

Du hast damals nur die Mindestbessungsgrundlage gezahlt.

Mit mal kam eine Hiobsbotschaft und der Sensemann schlug zu, die Kasse forderte ca. 170,00 Euro mtl. mehr.

Gegen diesen Bescheid hast Du Widerspruch erhoben, indem Du hoffentlich beantragst hat, den Beitragsbescheid rückwirkend komplett aufzuheben. Die Forderung für die Vergangenhei war rechtswidrig. Es kann ggf. nur für die Zukunft mehr Beiträge gefordert werden.

Jetzt bekommst Du einen vermeintlichen Abhilfebescheid. Abhilfebescheid heisst für mich, dass dem Widerspruch voll und ganz stattgegeben wird. Alles andere ist der größte Schwachsinn und hat mit dem Verfahrensrecht nix zu tun. Nun denn, Verfahrensrecht ist und bleibt nicht die Stärke der Kassen.

Aber - volle und ganze Stattgabe - ist es ja hier im Einzelfall definitiv nicht. Anstatt der 170,00 Euro Beitragserhöhung, fordert man jetzt nur 70,00 Euro.

Also wurde dem Widerspruch teilweise stattgegeben (100,00 Euro Reduzierung) und der Rest (70,00 Euro) wird noch gefordert und somit wurde in dieser Höhe der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Dies wäre - nach meiner bescheidenen Rechtskenntnis des Verfahrensrecht - der einzig richtige Weg. Weil durch die teilweise Zurückweisung des Widerspruches wird der Klageweg vorm Sozialgericht eröffnet.

Folgt man der Vorgehensweise der Kasse, dann die Kasse so ein Spielchen zig mal durch irgendwelche Abhilfebescheide - weil sie immer die Betragsforderung um ein paar Euronen senkt - mit Dir spielen. Nach zig Jahren landest Du dann endlich vorm Sozialgericht. Das haut nicht hin.

Sorry haplox, nehme Dir einen Fachanwalt für Sozialrecht. Solche Spielchen sollte man sich nicht gefallen lassen.

Auf der anderen Seite hast Du ja schon die Aussetzung der sofortigen Vollziehung beim Sozialgericht beantragt. Das Verfahren läuft noch.

Übersende dem Sozialgericht diesen vermeintlichen Abhilfebescheid mit dem Hinweis, dass Deinem eigentlichen Antrag immer noch nicht stattgegeben wurde.

Das Sozialgericht wird dann der Kasse hoffentlich auf die Finger kloppen.

Der absoluten Hammer in dieser Klamotte ist dann auch noch, dass die Kasse Säumniszuschläge fordert. Die Kasse hat einen Fehler gemacht und fordert dann auch noch die Säumniszuschläge. Jenes ist für mich ein Indiz, dass die Kasse in aller Selbstherrlichkeit noch immer meint, mit den Versicherten alles möglich zu machen. Eigene fatale Fehler spielen überhaupt keine Rolle. So etwas gab es mal im Mittelalter. Sorry, ich kann mich derzeit nicht bremsen.

haplox
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Beitrag von haplox » 20.05.2011, 15:52

Sorry haplox, nehme Dir einen Fachanwalt für Sozialrecht.
Das werde ich machen, aber erst wenn der neue Widerspruch abgelehnt werden sollte. Sonst bleibe ich auf dem Kosten sitzen für nix.
Gegen diesen Bescheid hast Du Widerspruch erhoben, indem Du hoffentlich beantragst hat, den Beitragsbescheid rückwirkend komplett aufzuheben. Die Forderung für die Vergangenhei war rechtswidrig. Es kann ggf. nur für die Zukunft mehr Beiträge gefordert werden.
Habe ich gemacht und sehe ich genauso.


Vorwort - wegen der übersichtlichkeit hier die Zusammenfassung der Situation:

bis 3/2009 Einstufung als hauptberuflich Gewerbstätiger
4/2009 nach Antrag -> Einstufung als nebenberuflich Gewerbstätiger
2009 + 2010 keine nennenswerten Umsätze, Bemessungsgrenze wird nicht überschritten

1/2011 Kasse Stellt Forderung über ~3.300 Euro
Begründung: die Gewerbetätigkeit war nicht nebenberuflich, sondern Hauptberuflich


2/2011 Widerspruch eingelegt, 4/2011 Widerspruch wurde teilweise stattgegeben:
1) Die Nebenberuflichkeit wurde anerkannt (was an sich schon mal gut ist),
die Forderung auf ~2.300 Euro reduziert.
2) Für die Berechnungsgrundlage der Beiträge sollen jetzt auf einmal die Werte
der Steuererklärungen aus 2007 + 2008 herangezogen werden mit Hinweis auf BVSzGs §7(7)1.

Sinngemäß steht in dem Passus, das für die Beitragsberechnung die jeweils letzte Steuererklärung herangezogen wird, es sei denn man besorgt sich einen anderslautenden Bescheid vom Finanzamt.


Meine persönliche Einschätzung:

So weit so gut... das die nebenberufliche Einstufung anerkannt wurde ist schon eine prima Sache, das vereinfacht es deutlich. In der neuen Forderung hat die Kasse einen neuen Berechnungsschlüssel rückwirkend angewendet, obwohl die Steuerbescheide auf die man sich bezieht seit 6/2009 und 6/2010 beider Ksse sind und die zulässigen Bemessungsgrenzen nicht überschritten worden sind.

Das die Kasse in 2011 nach über ca. 1,5 Jahren auf die Idee kommt, rückwirkend eine neue Beitragsberechnung durchzuführen, ob wohl keine neuen Erkenntnisse vorliegen, halte ich für nicht tragbar. Selbst wenn die neue Berechnungsmethode richtig wäre, hätte die Kasse unter Kenntnis der Fakten bereits in 6/2009 entsprechende Beitragsforderungen stellen müssen.

Meiner Meinung nach wäre hier §45 SGB X anzuwenden.

Betragsänderungen sind nur zulässig für die Zukunft oder bei Regelverletzungen bzw überschreiten von Grenzen, sonst hätte der Beitragszahler keinerlei Rechtssicherheit. Aus o.g. Gründen sehe ich diesem Punkt derzeit erstmal recht entspannt.

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Update #1
Widerspruch gegen die 2te Forderung ist eingelegt, bisher noch ohne Antwort.


Update #2
Im Schreiben an das Gericht zur Aussetzung der Vollziehung der ersten Forderung aus 1/2011 behauptet die Kasse, das dem 1. Widerspruch VOLLSTÄNDIG stattgegeben wurde, obwohl weiterhin gefordert wird. Auf die Anfrage des Gerichts, ob die Sache damit erledigt ist, habe ich dem Gericht mitgeteilt, das es eben nicht so ist, und das der Antrag Ausetzung der Vollziehung daher aufrechterhalten wird.

Update #3
Weiterhin habe ich sicherheitshalber einen separaten Antrag auf Ausetzung der Vollziehung für die erneute Forderung gebeten - für den Fall das man die Forderung als neuen, separaten Vorgang werten würde.

Die Krankenkasse ist vom Gericht diesbezüglich um Stellungnahme gebeten worden, Antwort steht noch aus.


Update #4
Das Gericht hat mir in Bezug auf die 2. Aussetzung der Vollziehung folgendes mitgeteilt:
Es wird mitgeteilt, das Ihr Scheiben vom XX.05.11 nicht als neuer Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gewertet wurde, sondern vielmehr das Schreiben zu dem bereits anhängigen (1.) Verfahren genommen wurde. Dieses Verfahren dürfte Ihren Rechtscshutzinteressen genügen.

Es erscheint gegenwärtig nicht erforderlich, ein gesondertes Verfahren in Bezug auf den neuen (2.) Bescheid zu erheben. Dieser Bescheid, der den ursprünglichen Bescheid abändert, dürfte gemäß §86 SGG Gegenstand des schon anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden sein.

Anderenfalls spricht einiges für eine zulässige Antragsänderung entsprechend §99 SGG.

Sollten Sie mit diesem Vorgehen nicht einverstanden sein und ein selbständiges Verfahren wünschen, wird um entsprechende Mitteilugn gebeten. Die Kammer wird sodann eiun neues Verfahren eintragen.


Hier tun sich Fragen auf, die rein verfahrenstechnischer natur sind:

#1
Ich habe derzeit nur die Aussetzung der Vollziehung beantragt.
Wäre im Falle einer Ablehung des Widerspruchs die Klage ein separates
Verfahren oder wird das zur Aussetzung der Vollziehung dazugenommen ?


#2
Die Kasse behauptet gibt an, das dem (1.) Wiederspruch vollständig stattgegeben wurde.
Die Anerkennung der nebenberuflichen Einstufung ist ein meinen Augen ein elementarer Erfolg.


Worauf ich hinaus will:

Ich bin mir nicht sicher, ob ich wie vom Gericht erwähnt ein separates Verfahren beantragen soll. Meiner Meinung nach spricht einiges dafür - wenn eine Klage gegen einen abgelehnten Widerspruch ein anhängiges Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung ist, wäre ein neues separates Verfahren eigentlich von Vorteil, da in diesem Fall der Status der nebenberuflichen Einstufung bereits geklärt ist.

Ich wäre sehr dankbar über eine Einschätzung zu diesem Punkt.


Wie immer, Danke fürs Lesen &
viele Grüße,

Haplox

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