(handelsblatt.com/meinung/kommentar-finanzen/private-krankenversicherung-vorsicht-beitragsfalle;2678024;0)Handelsblatt - 22.10.2010 - hat geschrieben: Die privaten Krankenversicherer locken gesetzlich Versicherte mit großen Versprechen. Vor allem die steigenden Beiträge in der GKV nutzen sie als Verkaufsargument. Doch Wechselwillige sollten sehr gründlich überlegen, ob sie den Schritt tatsächlich gehen. Denn so gut, wie es die Branche gerne darstellt, geht es den privaten Krankenkassen nicht.
Einmal privat versichert, immer privat versichert. So lautet die Regel in der privaten Krankenversicherung (PKV). Der Weg zurück in das gesetzliche System, die GKV, ist - jedenfalls für die Masse der Wechsler - verbaut. Das machen sich viele Krankenkassenkunden, die jetzt wechseln wollen, nicht klar. Und noch weniger können die meisten von ihnen die langfristigen Folgen eines Wechsels einschätzen. Und die können viel erheblicher sein, als die privaten Krankenversicherer und ihre redegewandten Verkäufer das bei Vertragsschluss sagen.
Ist doch auch klar: Wer redet gerne über höhere Beiträge in ein paar Jahren, wenn der Kunde im Moment gerade über niedrigere Beiträge als in der GKV angelockt wird. Das verunsichert den Wechselwilligen nur und verdirbt am Ende das Geschäft, auf das alle so scharf sind. Dank der Erleichterungen im Rahmen der neuen Gesundheitsreform will die Branche nun durchstarten und im gesetzlichen System wildern.
Die Argumente der Privaten liegen auf der Hand und sind in einschlägigen Werbebroschüren für Vermittler nachzulesen:
Erstens: Ab Ende des Jahres wird ein schnellerer Wechsel in die PKV möglich sein, der Regierung sei Dank.
Zweitens: Der allgemeine Beitragssatz der Krankenkassen steigt von 14,9 auf 15,5 Prozent, das wird bald beschlossen.
Drittens: Jeder Krankenkassenkunde muss künftig mit unbegrenzten Zusatzbeiträgen rechnen, auch das wird bald beschlossen.
Viertens: Dass die PKV die bessere Wahl zeige sich daran, dass nur die Versicherer künftig Zusatztarife für Kassenkunden anbieten dürfen.
Also nichts wie rein in die PKV? Frei nach dem Motto: "Lieber privat als Staat"?
Das Problem ist: Ein Vermittler will verkaufen, er wird dazu von den Versicherern mit satten Sonderboni umworben, und er erzählt meist nur die halbe Wahrheit. Die andere Seite der Medaille ist:
Erstens: Die Prämien in der PKV sind in den vergangenen zehn Jahren stärker gestiegen als in der GKV. Das belegen Studien, an denen unter anderem der bekannte Wissenschaftler Bert Rürup beteiligt war.
Zweitens: Viele Ärzte nutzen Privatpatienten schamlos aus und bürden ihnen höhere Kosten auf, weil sie mit Kassenpatienten - aus ihrer Sicht - zu wenig verdienen.
Drittens: Die Kosten im Gesundheitswesen steigen stark, das müssen die Privatpatienten über Beitragserhöhungen auch deshalb stärker bezahlen, weil die privaten Versicherer bisher in ihrer Mehrheit nicht als Sparfüchse aufgefallen sind.
Viertens: Viele private Krankenversicherer verursachen hohe Kosten, weil sie ständig Neukunden anwerben wollen. Diese Vertriebskosten bezahlen die privat Versicherten auch über ihre Beiträge mit. Die Kosten der Krankenkassen betragen dagegen im Schnitt nur ein Drittel der Kosten in der PKV.
Fünftens: Die Prämien eines Versicherten steigen meist schon deshalb im Laufe seiner PKV-Karriere, weil er älter und kränker wird. Theoretisch sollte dies zwar vorab im Tarif einkalkuliert sein, doch praktisch klagen viele Versicherte immer wieder über überraschend hohe Beitragserhöhungen. Das legt die Vermutung nahe, dass vorab doch nicht so sauber kalkuliert wie vielfach behauptet wird.
Und schließlich sind Privatpatienten auch abhängig vom Kapitalmarkt. Denn der private Krankenversicherer legt einen Teil seiner Prämien als Altersrückstellung am Kapitalmarkt an. 144 Mrd. Euro sind das derzeit. Das Geld muss mit 3,5 Prozent verzinst werden. Das schaffen die Versicherer derzeit noch. Doch wenn die langfristigen Zinsen so niedrig bleiben wie derzeit, werden sie es in ein paar Jahren nicht mehr schaffen. Das kann niemand wegdiskutieren.
Das bedeutet: Der Rechnungszins, eine Art Garantie- oder Leitzins, muss gesenkt werden. Das geht nur in Absprache mit der Versicherungsaufsicht und dem Finanzministerium. Und wäre besonders peinlich: Denn seit 50 Jahren haben die privaten Krankenversicherer diese Zahl nicht angetastet. Und sie wollen eigentlich auch nicht wirklich an das Thema ran, denn immer noch hoffen manche, dass die Zinsen wieder steigen. Und dann würde sich das Thema wieder in Luft auflösen. Doch ein Versicherer heißt eben so, weil er auf Nummer sicher gehen muss. Also ist es im Zweifel besser, den Rechnungszins zu senken und damit den Spielraum in der Anlagepolitik zu erhöhen, als auf Risiko zu fahren.
Dumm für den Kunden ist dabei nur: Er bezahlt es, wenn die Versicherer den Rechnungszins senken. Die knapp neun Millionen Privatversicherten würden also im Grunde für die Verfehlungen der Banken zur Kasse gebeten. Denn die sind ja die Ursache für die Finanzkrise, in deren Gefolge die Notenbanken ihre Leitzinsen massiv senken mussten. Was zur Folge hatte, dass auch die Kapitalmarktzinsen entsprechend stark gefallen sind. Pech gehabt, kann man da nur sagen. Im gesetzlichen System kann das übrigens nicht passieren, weil es dort keine Altersrückstellungen gibt.
Doch über alle diese Fragen mögen die privaten Krankenversicherer derzeit nicht reden. Das Thema passt nicht in die Zeit, weil die meisten ja erst mal neue Kunden gewinnen wollen. Wenn man den Interessenten aber sagen muss, dass schon nächstes oder übernächstes Jahr ihr Beitrag um zehn Prozent steigt, stört dies das Geschäft. Denn machen wir uns nichts vor: Kaum ein Wechselwilliger überblickt die extreme komplexe private Krankenversicherung. Die meisten verlassen sich auf ihren Vertreter und dessen Zusagen oder Beschwichtigungen. Jetzt über höhere Beiträge im Jahre 2012 oder 2013 zu reden, würde nur das Geschäft vermasseln.
Im Sinne des Kunden ist das natürlich nicht, aber an der Verkäuferfront ist es leider die Realität. Gute Verkäufer wissen: Am besten mache ich dem Kunden nur drei Vorschläge: einen sehr guten, einen sehr schlechten und einen, den man verkaufen will. Der Kunde wird im Zweifel meistens die goldene Mitte wählen. Und dabei auf seinen Vertreter vertrauen, der es ja besser wissen sollte. Der soll ihm natürlich für seine satte Provision bitteschön auch die Suche nach dem besten Tarif abnehmen, damit er nicht mehr viel nachdenken muss und es am Ende einfach hat.
Weil das oft so ist, kann allen Wechselwilligen nur geraten werden: Fallen Sie nicht vorschnell auf scheinbar günstige Lockangebote rein und überlegen Sie lieber fünf Mal, welche Folgen ein Wechsel in die PKV haben wird. Lassen Sie sich die Risiken schriftlich geben und beharren Sie auf verständlichen Aussagen. Hoffen Sie nicht, dass sie auf Dauer weniger zahlen werden als in der GKV.
Fragen Sie mal ältere PKV-Kunden nach ihren Erfahrungen. Und bedenken Sie, wie schnell sich auch der politische Wind in diesem Bereich drehen kann. Schließlich ist bei dieser wichtigen Lebensentscheidung nur eines - so gut wie - sicher: einmal PKV, immer PKV!
Damit's auch mit den Rückwerbungen klappt...