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Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 04.06.2020, 11:19
von Wiebke-Marie
Hallo,
ich bin zum ersten Mal in meinem Arbeitsleben längerfristig erkrankt. U. a. führte das auch zu einer Anerkennung eines Schwerbehindertengrades von 50%. Seit Mai 2019 folgten immer wieder Krankschreibungen, die von Arbeitsphasen unterbrochen wurden. Der Arbeitgeber gewährte jeweils Lohnfortzahlung. Im Februar 2020 folgten Krankschreibungen, die über 6 Wochen anhielten. Auch hier gewährte der Arbeitgeber Lohnfortzahlung. Während dieses Zeitraums unterrichtete mich die Krankenkasse über die Vorbereitung einer Krankengeldzahlung. Da mir zu diesem Zeitpunkt bewusst wurde, dass ich nun bald ins Krankengeld falle, habe ich mich über die Meldepflichten informiert und darauf geachtet, dass die Feststellung der fortgesetzten Krankheit jeweils pünktlich erfolgt. Als nach über einem Monat nach Ende der Lohnfortzahlung noch immer kein Krankengeld eingegangen war und ich in finanzielle Probleme geraten bin, habe ich bei der Krankenkasse nachgefragt. Dort erfuhr ich, dass noch Unterlagen des Arbeitgebers zur Berechnung des Krankengeldes fehlen. Daraufhin setzte ich mich mit der Personalstelle meines Arbeitgebers in Verbindung. Am nächsten Tag erhielt ich eine Mitteilung des Arbeitgebers, dass bei einem Telefonat mit der Krankenkasse deutlich wurde, dass Vorerkrankungszeiten bestehen und daher die letzte Lohnfortzahlung über 6 Wochen sowie Teile aus früheren Lohnfortzahlungen zurückgefordert werden. Ich war schockiert. Das kann doch nicht sein! Da hätte doch die Krankenkasse und/oder der Arbeitgeber schon früher tätig werden müssen. Hier liegen Versäumnisse vor, die jetzt zu meinen Lasten bereinigt werden sollen.
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 04.06.2020, 14:39
von Czauderna
Hallo und willkommen im Forum
Ja, das ist blöd gelaufen und die Frage, wer daran schuld ist, die ist berechtigt.
Fangen wir mal bei der Krankenkasse an. Wenn die Krankenkasse feststellt, dass nach Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit und erfolgter Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, innerhalb von sechs Monaten eine erneute Arbeitsunfähigkeit wegen der gleichen Erkrankung beginnt, dann wäre es nicht nur im Sinne des Arbeitnehmers, des Arbeitgebers und auch der Krankenkasse selbst, wenn sie diesen Umstand dem Arbeitgeber mitteilt damit dieser weiss, dass er eben nicht mehr ggf. die vollen sechs Wochen zahlen muss. Ich weiß, das manche Krankenkasse das so machen, andere aber nicht, weil sie sich auf den Datenschutz berufen und sie nicht ohne Anforderung solche Daten dem Arbeitgeber mitteilen dürften. Andere sehen da kein Problem - ich selbst war bei einer Krankenkasse beschäftigt und wir haben das einfach so gemacht, beschwert darüber hat sich keiner.
Womit wir beim Arbeitgeber wären. Wenn dieser eine gute Personalabteilung hat oder einen guten Steuerberater/in, dann wird dieser bereits bei Eingang der zweiten Erstmeldung einer Arbeitsunfähigkeit tätig. Klar, auf seinem Teil der Meldung steht keine Diagnose, aber er hat die Möglichkeit, sofort bei der Kasse anzufragen ob es sich um eine anrechenbare Vorerkrankung bzw. Folgeerkrankung handelt und kann dann ggf. seine Lohnfortzahlung anpassen oder ggf. ganz unterlagen und der Kasse sofort eine Verdienstbescheinigung übermitteln.
Du selbst hast keinerlei Schuld - denn du musst das mit den Vorerkrankungen ja nicht wissen.
Salomonische Fazit - beide, Krankenkasse und Arbeitgeber haben gepennt, wobei die Kasse doch eher einen Unterlassungsgrund anführen könnte.
Gruss
Czauderna
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 04.06.2020, 15:23
von Wiebke-Marie
Hallo Czauderna,
ich danke dir sehr für deine Einschätzung!
Aber was heißt das konkret für mich? Ich vermute, ich werde durch das lange Zögern bzw. "Nichthandeln" der beiden Akteure erhebliche Nachteile erleiden. Bei den früheren Krankmeldungen habe ich immer darauf geachtet, dass die Anforderungen des Arbeitgebers erfüllt wurden (sofortige fernmündliche Mitteilung, übersenden der AU-Bescheinigung nach Ausfertigung durch den Arzt). Der Arzt, der meine gesundheitlich Situation kennt, hat dann auch rückwirkend die Krankheit festgestellt. Das war für den Arbeitgeber kein Problem. Ob ich jeweils die alten AV-Bescheinigungen jeweils pünktlich zur KV geschickt habe, weiß ich nicht mehr; eine habe ich glaub ich gar nicht geschickt. Wenn mir bewusst gewesen wäre, dass ich schon im Krankengeld bin, hätte ich mich sachkundig gemacht und hätte alles beachtet, was zu beachten ist. Wenn die KV das Krankengeld jetzt schon für zurückliegende Zeiträume berechnet, werde ich viele Nachweislücken und damit erhebliche Einbußen haben. Das kann doch nicht sein!?!?!
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 04.06.2020, 15:58
von Czauderna
Hallo,
ja, du wirst Einbußen haben, wenn rückwirkend deine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber durch Krankengeld ersetzt wird. Krankengeld ist in der Regel immer niedriger als der Nettolohn. Die Krankenkasse wird kein Krankengeldberechnen für Zeiten, in denen der Arbeitgeber Lohn gezahlt hat, da ruht der Krankengeldanspruch. Es liegt also bei deinem Arbeitgeber, ob er von dir den zu viel gezahlten Lohn zurückfordert.
Nur als Information, wenn es sich nicht gerade um einen größeren Arbeitgeber handelt, dann hat er sowieso über die Lohnausgleichskasse seine Aufwendungen für die Zeit der Lohnfortzahlung zurückbekommen, das könnten bis zu 70 % ausmachen.
Was die Nachweise betrifft, so müssen grundsätzlich die Nachweise innerhalb von einer Woche bei der Krankenkasse eingereicht werden, kommt also hier genau auf die entsprechenden Daten an.
Gruss
Czauderna
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 04.06.2020, 16:27
von Wiebke-Marie
..…. Arbeitgeber ist der Öffentliche Dienst.
Zu den Einbußen: Ja, das war mir jetzt schon klar, dass das Krankengeld geringer ausfällt als das Arbeitsentgelt. Das ist auch o. k. und verkraftbar. Aber die eigentlichen Einbußen, die eben nicht hätten sein müssen, sind die voraussehbaren Abzüge für bei der Krankenkasse zu spät oder nicht vorgelegte AU-Bescheinigungen bzw. Arztbesuche, die nicht am ersten Tag erfolgt sind.
Dank und Gruß
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 04.06.2020, 21:56
von Frau_in_KV
Hallo Wiebke-Marie,
wende dich an den VDK und schalte den Integrationsfachdienst mit ein.
Auch eine Betriebsseelsorge bzw. evtl. die Gewerkschaft kann dich hier unterstützen.
Wenn dein Arbeitgeber und/oder die Krankenkasse geschlafen haben, dann haben die genau dafür eine Versicherung.
Den VDK brauchst du für die arbeits- und sozialrechtliche Beratung.
Den Integrationsfachdienst als neutralen Berater, wie es bei deinem Arbeitgeber weitergehen kann (BEM, Wiedereingliederung, Arbeitsplatzumgestaltung, etc.) - Wie offen dein Arbeitgeber bleiben wird, wenn du dich gegen die "Verrechnung" zur Wehr setzt, kannst du dir an drei Fingern abzählen.
Nach der DSGVO hast du ein Recht auf Akteneinsicht.
Du kannst dir von deiner Krankenkasse die kompletten Unterlagen zu deinem Krankheitsverlauf zeigen lassen.
Frage schriftlich nach, ob dein Arbeitgeber wegen der LFZ nachgefragt hatte bzw. ob und wann die Kasse aktiv wurde. - Lasse dir dies schriftlich bestätigen und Kopien der Schreiben aushändigen. Setze eine Frist in diesem Schreiben.
Die gleichen Fragen stellst du deinem Arbeitgeber.
Tenor: viel Verständnis für die verzwickte Situation. Ob denn der Arbeitgeber bei der Krankenkasse nach Vorerkrankungen gefragt habe und wenn ja, wann. (Ohne Kopien der Schreiben, die hast du ja schon, falls es sie gibt)
Was auf jeden Fall passieren wird, dass die Vorerkrankungen auf die Dauer des Krankengeldanspruchs angerechnet werden.
Wegen der finanziellen Nachteile: Du hast nach Treu und Glaube (§ 242 BGB) gehandelt und bist deshalb davon ausgegangen, dass alles rechtens und zur rechten Zeit abgeklärt wurde.
Deinem Krankengeld-Sachbearbeiter erklärst du sehr leise und sehr freundlich, dass er genau 7 Tage Zeit hat, dann ist dein Krankengeld für den laufenden Anspruchszeitraum komplett auf deinem Konto, weil du nach Treu und Glaube von der Richtigkeit der erhaltenen Bezüge ausgegangen bist. Aus diesem Grund bist du nicht für die Fehler verantwortlich, die entweder auf Seiten der Krankenkasse oder auf Seiten des Arbeitgebers liegen. In diesem Fall siehst du von einer Verzinsung ab.
Im gleichen Gespräch bittest du sehr leise und sehr freundlich um die Kontaktdaten der Bereichsleitung und der nächsthöheren Führungskräfte, einschließlich des Vorstandes, sowie der kompletten Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde.
Bei deinem Arbeitgeber wirst du wohl noch arbeiten wollen... oder?
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 05.06.2020, 09:35
von Czauderna
Hallo frau in KV
Auch eine Betriebsseelsorge bzw. evtl. die Gewerkschaft kann dich hier unterstützen.
Wenn dein Arbeitgeber und/oder die Krankenkasse geschlafen haben, dann haben die genau dafür eine Versicherung.
eine Verständnisfrage dazu.
Das mit der Gewerkschaft kann ich alter Gewerkschaftler noch nachvollziehen, aber die Betriebsseelsorge ?
Wie hast du das gemeint ?
und welcher Art von Versicherung käme dann hier zum Zuge aus der Sicht der Krankenkasse - kenne ich nicht, was aber nichts heißen muss.
Danke und Gruss
Czauderna
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 05.06.2020, 13:54
von ratte1
Hallo,
eine Verständnisfrage: Wo liegt hier der Schaden beim Versicherten? Auch bei frühzeitiger Entscheidung hätte er doch nicht mehr Geld zur Verfügung gehabt, oder?
MfG
ratt2
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 05.06.2020, 14:12
von Czauderna
ratte1 hat geschrieben: ↑05.06.2020, 13:54
Hallo,
eine Verständnisfrage: Wo liegt hier der Schaden beim Versicherten? Auch bei frühzeitiger Entscheidung hätte er doch nicht mehr Geld zur Verfügung gehabt, oder?
MfG
ratt2
Hallo,
nehmen wir mal an, da gab es eine Arbeitsunfähigkeit dazwischen von einer Woche Dauer. Der Arbeitgeber hat die Meldung erhalten, die Krankenkasse erst nach drei Wochen. Der Arbeitgeber hat für die eine Woche Lohnfortzahlung geleistet, alles war gut.
Nun kommt der Arbeitgeber und sagt, dass ihm die Krankenkasse bestätigt habe, dass er keine Lohnfortzahlung hätte leisten müssen, da anrechenbare Vorerkrankungen vorlagen, ergo fordert er nun die eine Woche Gehalt/Lohn zurück. Die Krankenkasse verweigert aber die Krankengeldzahlung, weil die Krankmeldung verspätet bei der Kasse eingereicht wurde.
So hat also die Versicherte einen Schaden von einer Woche weniger Einkommen, der vermeidbar gewesen wäre, wenn hier vordringlich der Arbeitgeber
reagiert hätte, also die Kasse angefragt wegen Vorerkrankungen und damit wäre auch die Meldung der Arbeitsunfähigkeit bei der Kasse rechtzeitig erfolgt, meine ich.
Gruss
Czauderna
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 05.06.2020, 15:31
von broemmel
Und wieso kommt das Mitglied seinen Pflichten erst nach wenn Leistungen bezogen werden?
Bei korrektem Verhalten entsteht doch kein Schaden. Hier wird eher ein Sündenbock für die Konsequenzen des eigenen Verhaltens gesucht.
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 05.06.2020, 20:10
von Frau_in_KV
Czauderna hat geschrieben: ↑05.06.2020, 09:35
Hallo frau in KV
Auch eine Betriebsseelsorge bzw. evtl. die Gewerkschaft kann dich hier unterstützen.
Wenn dein Arbeitgeber und/oder die Krankenkasse geschlafen haben, dann haben die genau dafür eine Versicherung.
eine Verständnisfrage dazu.
Das mit der Gewerkschaft kann ich alter Gewerkschaftler noch nachvollziehen, aber die Betriebsseelsorge ?
Wie hast du das gemeint ?
und welcher Art von Versicherung käme dann hier zum Zuge aus der Sicht der Krankenkasse - kenne ich nicht, was aber nichts heißen muss.
Danke und Gruss
Czauderna
Die Kassen haben doch Versicherungen gegen Vermögensschäden.
Bei der Betriebsseelsorge, zumindest die mir bekannte, arbeiten Menschen, die zum einen von Arbeitsrecht sehr viel Ahnung haben, aber auch zur Kommunikation und Deeskalation unterstützen können. Man kann auch dort jemanden eine Vollmacht geben, und dann setzen sich diese Menschen mit der Kasse auseinander.
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 05.06.2020, 20:13
von Frau_in_KV
broemmel hat geschrieben: ↑05.06.2020, 15:31
Und wieso kommt das Mitglied seinen Pflichten erst nach wenn Leistungen bezogen werden?
Bei korrektem Verhalten entsteht doch kein Schaden. Hier wird eher ein Sündenbock für die Konsequenzen des eigenen Verhaltens gesucht.
Das verstehe ich jetzt nicht.
Ich sehe es so. Otto Normalverbraucher weiss zwar, dass der Anspruch auf Lohnfortzahlung begrennzt ist. Aber wie wann was auf welche Art und Weise angerechnet wird, das muss Otto Normalverbraucher nicht wissen, außer dieser ist Personaler oder Jurist oder Krankenkassenfachmensch.
Wo hat sich jetzt die fragende nicht korrekt verhalten?
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 05.06.2020, 20:14
von Frau_in_KV
Frau_in_KV hat geschrieben: ↑05.06.2020, 20:13
broemmel hat geschrieben: ↑05.06.2020, 15:31
Und wieso kommt das Mitglied seinen Pflichten erst nach wenn Leistungen bezogen werden?
Bei korrektem Verhalten entsteht doch kein Schaden. Hier wird eher ein Sündenbock für die Konsequenzen des eigenen Verhaltens gesucht.
Das verstehe ich jetzt nicht.
Ich sehe es so. Otto Normalverbraucher weiss zwar, dass der Anspruch auf Lohnfortzahlung begrennzt ist. Aber wie wann was auf welche Art und Weise angerechnet wird, das muss Otto Normalverbraucher nicht wissen, außer dieser ist Personaler oder Jurist oder Krankenkassenfachmensch.
Wo hat sich jetzt die fragende nicht korrekt verhalten?
Korrektur: frag mal einen Beitragsmenschen zur Anrechnung von Vorerkrankungen...
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 05.06.2020, 21:05
von broemmel
Auf jeder AU stehen Hinweise zum Krankengeld.
Nur weil gedacht wurde das trifft nicht zu wurden diese Hinweise nicht beachtet.
Da steht was über lückenlose Bescheinigung und über Vorlage bei der Krankenkasse. Die Folgen stehen auch drauf. Nämlich Krankengeld Verlust.
Um das zu verstehen muss man weder Jurist noch Krankenkassenbetriebswirt sein.
Die Fragende hat wohl ein oder mehrere Punkte nicht beachtet.
Re: Versäumnisse des AG und der KV
Verfasst: 06.06.2020, 11:53
von D-S-E
broemmel hat geschrieben: ↑05.06.2020, 21:05
Die Fragende hat wohl ein oder mehrere Punkte nicht beachtet.
Genau so ist es. In der Praxis führen solche Konstellationen immer wieder zu Streit. Die Argumentation "Hätte ich gewusst, dass ich ins Krankengeld falle, dann..." zieht hier nicht. Denn die Krankenkasse weist durch den deutlichen Hinweis auf der AU auf die Meldefrist hin. Die Krankenkassen tun alles was in ihrer Macht steht, um die Versicherten zur Einreichung der AU zu bewegen, die Krankenkassen haben nämlich die Belehrung auf jeder AU ausdrücklich vereinbart und gewünscht.
Diese gilt für jeden Schnupfen, jede Magendarmgrippe auch wenn es nur 1 Tag ist. Die Folgen nicht eingereichter AU's sind vom Versicherten zu tragen und auf Unkenntnis kann sich hier keiner berufen.
Viele Grüße
D-S-E