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von JanneXX » 04.02.2013, 20:48
Hallo,
als Beispiel dafür, dass es an vielen Stellen "krankt", möchte ich folgenden "Einzelfall" schildern, der mir auch bezeichnend für den von Machts Sinn angesprochenen atemberaubenden Anstieg der Krankheitstage aus psychischen Gründen erscheint.
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Krankenschwester, Mitte 40, zuvor immer Vollzeit gearbeitet, in ihrer Freizeit im Sportverein im Bereich Prävention, Fitness und Gesundheit an 2 bis 3 Abenden in der Woche als Übungsleiterin engagiert, viel in der Natur unterwegs und mit überwiegend vegetarischer Ernährungsweise, kann ihren sowohl physisch als auch psychisch belastenden Beruf nicht mehr ausüben.
Verschiedene „Maßnahmen“ bringen nicht den erhofften Erfolg, sie landet (vollgepumpt mit Medikamenten, damit sie überhaupt weiter laufen kann) in der Zeitarbeit.
Dort erhält sie einen Arbeitsvertrag als Helferin im Bereich Lager-/Transport-/Produktion über 20 Std./Woche, einem Stundenlohn von brutto € 6,53* während der sechsmonatigen (!) Probezeit und den Hinweis, Aufstockung beantragen zu können.
Ihre tatsächliche Arbeitszeit liegt zwischen 0 und 84 Wochenstunden, je nach vom Personaldisponenten vorgegebenen Einsatz beim Kunden. Mehrarbeitsstunden erhält sie jedoch nicht ausgezahlt, weil ein Zeitkonto zu befüllen ist, das das Zeitarbeitsunternehmen für sie führt.
Vorschriften zum Arbeitnehmerschutz finden keine Anwendung, Unterweisungen zur Arbeitssicherheit oder Untersuchungen nach Infektionsschutzgesetz finden nicht statt oder erst Wochen/Monate nach Arbeitsaufnahme beim Kunden...
Für Entgeltfortzahlung bei Urlaub, Krankheit oder an Feiertagen werden die gesetzlichen und/oder tarifvertraglichen Regelungen ignoriert, sofern die Leiharbeitnehmerin nicht ohnehin vor Feiertagen die Kündigung erhält. Um nach den Feiertagen einen neuen Arbeitsvertrag zu erhalten.
Oder sie erhält überraschend die fristlose Kündigung, in der steht, dass sie angeblich den Niederlassungsleiter (dessen Wort übrigens in seiner Niederlassung Gesetz ist!) beleidigt hat und der zufällig anwesende Personaldisponent dies bezeugen kann.**
Woraufhin sie auch prompt eine Sperre bei der AfA erhält.
Und trotz fristloser Kündigung will das ZA-Unternehmen sie kurze Zeit später erneut beschäftigen – was nun die AfA erstaunt, mehr aber auch nicht.
Auch hier gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter.
Oberster Dienstherr der Zeitarbeitsunternehmer ist die Bundesagentur für Arbeit, die die Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung erteilt. Geprüft werden ZA-Unternehmen von der AfA, Rentenversicherungsträger und Betriebsstättenfinanzamt.
Wie sehr in die Tiefe gehend diese Prüfungen vorgenommen werden? Nun, einem nackten Mann kann man nicht in die Taschen fassen...
Und vom kargen Entgelt der Zeitarbeiter werden selbstverständlich neben Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag auch die Zwangsbeiträge für Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einbehalten.
Zurück zur ehemaligen Krankenschwester:
Wer finanziert die Aufstockungsbeträge während des Beschäftigungsverhältnisses?
Wie hoch wird ihr ALG I Anspruch bei Beschäftigungsende sein, bei einem Bruttostd.lohn von € 6,53?
Wie hoch wird ihr Krankengeldanspruch sein, sofern sie nicht von der Krankenkasse (die die nun „ausgelutschte“ und endgültig chronisch kranke ehemalige AfA-Kundin nicht an der Backe haben mag) direkt zur AfA oder zum Jobcenter umgetopft wird?
Aus welchem Topf wird ihr ALG II Bezug gezahlt?
Wie hoch wird ihre künftige Rente sein und wer kommt dafür auf, wenn die Rente nicht mal zum Überleben reicht?
Was in dem ganzen Trubel völlig untergeht: Wie geht’s ihr dabei? Was hat dieser Zirkus über die Jahre mit ihr gemacht? Wieviel Kraft ist ihr zum (lebenswerten?) Leben geblieben, wer hilft dieser ehemals wertvollen Stütze unserer Gesellschaft bei Anträgen, Behördengängen, Abwehr von Anfeindungen und aus der ihr zugedachten Opferrolle heraus? (Wer bekommt ihren Groll darüber ab, dass sie die Regeln zum funktionieren unserer sozialen Gesellschaft eingehalten hat, während andere darauf pfeifen, ungeschoren davon kommen und sich an ihr bereichern?)
Ja ne, klar - ´s ist halt so, wie´s ist. Akzeptieren, abhaken, an der Gesundheit arbeiten mit dem Ziel, wieder arbeiten zu gehen!
*BZA Tarif 2009
** Weitere Strategien der ZA-Unternehmen:
AUB landen direkt im Aktenvernichter.
Zulagen zum Lohn (zB Leistungszulage) werden nicht fortgezahlt.
Zustehende Barabschläge werden willkürlich nicht ausgezahlt (wenn die Zeitarbeiterin zB nicht noch zusätzlich 10-12 Std. Spät-/Nacht-/Wochenendschicht bei einem weiteren Kunden arbeiten kann). Bankkonto ist überzogen, sie hat daher nix im Kühlschrank und wie sie in der darauffolgenden Woche zur Arbeit kommt??? Fahrkarte kann sie ja ohne Geld nicht kaufen. Erscheint sie daher nicht bei der Arbeit, gibt’s ne Abmahnung und evtl Kündigung und AfA-Sperre.
Die Liste ist unvollständig.
Glücklicherweise gibt’s seit einiger Zeit P-Konten, die den Menschen die Zahlung der Wohnungsmiete (wieder) ermöglichen.
Einige ZA-Niederlassungen werden jahrelang ohne Gewerbeschein betrieben. Und falls das irgendwem irgendwann mal auffallen sollte, dann wird der Gewerbeschein eben nachträglich ohne viel Federlesen ausgestellt. "
Dieses Beispiel weist einige Parallelen zu meinem "Fall" auf, der ja auch ein Einzelfall ist und falls mein Zugang gesperrt wird, ist´s für mich auch ok...
LG
Janne