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Verfasst: 08.07.2012, 12:56
von Rossi
Na ja, broemmel, glaubst Du im ernst, dass es hier nur durch ein vernünftiges Gespräch mit der Kasse funktioniert hätte?

Oder lief es gar unter dem Motto, wir fordern erst einmal die vollen Beiträge und warten ab, ob was kommt?

Verfasst: 08.07.2012, 13:07
von broemmel
Das scheint wohl deine Erfahrung aus dem Sozialamt zu sein.

Oder wie arbeitet ihr?

Verfasst: 08.07.2012, 13:15
von Rossi
Nee, jenes sind meine Erfahrungen der letzten 4 Jahre im Umgang mit den Kassen, mehr nicht.

Anders kann ich derzeit den Einzelfall von sentral leider auch nicht werten.

Verfasst: 08.07.2012, 14:24
von Czauderna
Hallo,
ich habe mir noch einmal den gesamten Thread durchgelesen.
Genau zwei Beiträge hat der Thread-Ersteller geschrieben - einen, um sein Problem zu schildern und einen um seine Meinung (allgemeiner Art) los zu werden.
Den Rest hat der Rossi "gestaltet", die aber mit unserer Mithilfe !.
Die "Fakten" zu diesem Fall sind aufgrund des ersten Beitrages mehr als unklar, erst als Rossi Einzelheiten schrieb, weil sich der Threadersteller an ihn persönlich wandte, erst dann kam der Fall so richtig ins Rollen.
Ergebnis - viel Diskussion, viel Grundsätzliches und am Ende einen Sieger
(wie immer) und die Bestätigung der Erfahrung -" alle" Kassen sind nicht Gesetzes- und rechtstreu. in ihrem tun.
Wenigstens kam am Schluss doch noch der Begriff "Einzelfall" zu seinem Recht.
Ist schon toll, so ein Forum.
Gruss
Czauderna

Verfasst: 08.07.2012, 15:51
von Rossi
Nun ja, lieber Günter. Ich muss Dir zunächst natürlich recht geben.

Die Fakten zu dem Fall waren zunächst ziemlich unklar. Sentral wusste doch gar nicht worauf es im Einzelfall ankommt. Ferner hat Sentral die Diskussion - meines Erachtens - durch Äußerungen (Top-Verdiener 50.000,00 €) natürlich in die falsche Richtung gelenkt. So etwas hat mit dem Einzelfall nämlich nix zu tun und sind nur unsachlich.

Auf der anderen Seite fühlte sich sentral irgendwie nicht richtig behandelt. Denn in der Überschrift zum Thread hat er schon geschrieben, dass die Kasse vermutlich einen Fehler gemacht hat.

Es geht nicht darum, dass "einige Kassen" sich nicht gesetzes- und rechtstreu verhalten. Es geht darum, dass die Vorschriften des § 186 Abs. 11 SGB i.V.m. § 76 SGB IV vermutlich nur ein Schattendasein in der Praxis führen. Dies sind halt eben meine Erfahrungen, mehr nicht!

Verfasst: 08.07.2012, 16:42
von Lady Butterfly
Es geht nicht darum, dass "einige Kassen" sich nicht gesetzes- und rechtstreu verhalten. Es geht darum, dass die Vorschriften des § 186 Abs. 11 SGB i.V.m. § 76 SGB IV vermutlich nur ein Schattendasein in der Praxis führen. Dies sind halt eben meine Erfahrungen, mehr nicht!
da möchte ich dir nicht einmal unrecht geben....aber nehmen wir doch mal ein anderes Beispiel:

Tag für Tag schließen Millionen von Menschen zahlreiche Verträge ab: sie gehen zum Bäcker um Brötchen zu kaufen, am Kiosk kaufen sie eine Zeitung oder sie haben ein Abo, sie schließen sich zu Lotto-Spielgemeinschaften zusammen oder haben zur EM auf die Ergebnisse gewettet......aber was glaubst du, wieviele Leute davon können die entsprechenden §§ für diese eigentlich recht einfachen Dinge des täglichen Lebens nennen? und trotzdem funktioniert das alles in ca. 99% der Fälle gut und reibungslos.....die Juristen werden erst dann eingeschaltet, wenn es irgendwelche Probleme gibt....und dann verstehen viele Menschen die Ergebnisse, die auf rechtlichem Weg gefunden werden eher schlecht als recht

und ich denke das ist es, was Czauderna hier sagen will: in der Regel funktioniert das Leben auch ohne §§ ganz gut, auch wenn es für die entsprechenden Situationen irgendwelche Regeln gibt. Und die Rechtsauffassung von Juristen entspricht auch nicht immer der Rechtsauffassung von Otto-Normal-Verbrauchern...

Verfasst: 08.07.2012, 16:58
von Rossi
Hm, unser Rechtstaat soll also überwiegend ohne Gesetze funktionieren?

Ich glaube, dass dies aber nicht dem Prinzip eines Rechstaates entspricht.

Was bedeutet also Rechsstaatlichkeit?

Rechtstaatlichkeit bedeutet, daß die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig ist.

Verfasst: 08.07.2012, 18:13
von Lady Butterfly
Hm, unser Rechtstaat soll also überwiegend ohne Gesetze funktionieren?
das habe ich nicht behauptet

ich habe behauptet, dass unser Staat (nach dem Grundgesetz, Artikel 20, übrigens ein "demokratischer und sozialer Bundesstaat") funktioniert, obwohl dem Großteil der Bevölkerung die Gesetze nicht bekannt sind - nicht jeder ist ein Jurist.

es erscheint den meisten Menschen logisch - und war schon immer so, auch bevor es niedergeschriebene Gesetze gab - dass sie für Produkte oder Dienstleistungen bezahlen müssen. Das tun die meisten auch so. Dass dadurch, dass sie Brötchen kaufen und bezahlen, ein Kaufvertrag zustande kommt, interessiert doch die wenigsten.

Interessant und relevant werden die Regelungen des BGB doch erst dann, wenn z. B. ein Auto gekauft wird, dass nicht den versprochenen Leistungen entspricht.

Auf bei der Arbeit funktioniert alles wunderbar, solange sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber einig sind. Manchmal jahrelang ohne (schriftlichen) Arbeitsvertrag. Und wenn es dann kracht, kann man sich nicht darüber einigen, was eigentlich Inhalt des Arbeitsvertrags ist....und dann braucht man Gesetze und Juristen.

ich sag nicht, dass das alles perfekt ist, aber es ist Realität - die meisten Leute kommen auch gut ohne Gesetze aus.

wir haben hier übrigens auch nirgendwo über den Rechtsstaat gesprochen - sondern über die Anwendung von Gesetzen, von materiellem oder formellem Recht.

die Tatsache, dass wir in einem Rechtsstaat leben, dass also jeder im Zweifelsfall sein Recht einklagen kann, ermöglicht dieses Zusammenleben. Allerdings sollte man bedenken, dass auch in unserem "Rechtsstaat" nicht alles, was gesetzeskonform ist auch recht im Sinne von gerecht oder richtig ist - ich denke da z. B. daran, dass Kinderlachen als Lärm gewertet wird. Das mag vielleicht nach Auslegung von Gesetzen richtig sein, das bedeutet aber noch lange nicht, dass es richtig ist. Ob solche Gesetze - gleichwohl formell und materiell korrekt erlassen - der Menschenwürde, der Freiheit und Gerechtigkeit entsprechen, will ich mal dahingestellt lassen.

und das ist nur eine Sache, wo das Rechtsempfinden von Otto-Normal-Verbrauchern mit dem von Juristen kollidiert. Es gibt da noch vieles andere - auch im Bereich der Sozialgesetzgebung.

Recht und Gerechtigkeit sind immer noch zwei paar Schuhe, Rossi
und du solltest auch nicht vergessen, dass Recht ausgelegt werden muss - es gibt nicht zu Unrecht den Spruch "3 Juristen, 5 Meinungen"
und manchmal muss man auch fünfe gerade sein lassen - die Gerichte sind auch so schon genug beschäftigt :D

ich wünsche dir trotzdem einen schönen Rest-Sonntag
viele Grüße
Lady Butterfly

Verfasst: 08.07.2012, 19:06
von röschen
Lady Butterfly hat geschrieben:ich sag nicht, dass das alles perfekt ist, aber es ist Realität - die meisten Leute kommen auch gut ohne Gesetze aus.
Aber nur, weil allen bekannt ist, dass es dafür Regelungen gibt und nach denen üblicherweise gehandelt wird, auch wenn man den Gesetzestext nicht weiß.

Verfasst: 08.07.2012, 19:29
von Lady Butterfly
Lady Butterfly hat folgendes geschrieben::
ich sag nicht, dass das alles perfekt ist, aber es ist Realität - die meisten Leute kommen auch gut ohne Gesetze aus.

Aber nur, weil allen bekannt ist, dass es dafür Regelungen gibt und nach denen üblicherweise gehandelt wird, auch wenn man den Gesetzestext nicht weiß.
das hab ich doch hier geschrieben:
die Tatsache, dass wir in einem Rechtsstaat leben, dass also jeder im Zweifelsfall sein Recht einklagen kann, ermöglicht dieses Zusammenleben
in der Regel stimmen das Rechtsempfinden mit dem tatsächlichen Recht (z. B. bei Kaufverträgen), aber nicht immer.

Verfasst: 08.07.2012, 19:31
von roemer70
Und manchmal funktioniert eine Gesellschaft nur, weil man gelegentlich auf sein Recht verzichtet (bspw. im Straßenverkehr).
Jetzt sind wir aber vollends vom Thema abgekommen. :wink:

Verfasst: 08.07.2012, 20:15
von Rossi
Na ja, wir sind hier nicht im Straßenverkehr, oder?

Wir sind im Sozialrecht, dies ist schon mal etwas ganz anderes. Ferner gilt im Sozialrecht auch nicht der Grundsatz "Unwissenheit schützt nicht vor Strafe". Auch wenn einige Kassenmitarbeiter dies immer wieder bei der Nachzahlungspflicht so interpretieren. Wenn ich diesen Slogan immer höre, dann bekomme ich ne Putenpelle bzw. Elefantenpickel.

Dieser Grundsatz gilt natürlich im Strafrecht (Unwissenheit schützt vor Strafe nicht), aber bitte schön nicht im Sozialrecht. Selbst im Strafrecht gilt der Grundsatz "in dubio pro re". Will heissen, im Zweifel immer für den Angeklagten.

Ferner gibt es im Sozialrecht das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellunganspruches. Hiernach muss ein Sozialleistungsträger vernünftig aufklären und beraten. Macht der Sozialleistungsträger dies nicht, muss dann muss dem schutzbedürftigen Sozialleistungsempfänger dies Recht einräumen. Nämlich jenes, was er bei vernünftiger Aufklärung und Beratung gemacht hätte.

Dies gilt nur für das Sozialrecht. Würde dies Rechtsinstitut auch im Strafrecht gelten, dann müsste jeder von der Behörde augeklärt werden, dass er bspw. bei rot nicht die Ampel überfahren darf. Macht er es dennoch, dann muss er eine Strafe löhnen. Na ja, sage ich!

Verfasst: 08.07.2012, 20:24
von CTG
Rossi hat geschrieben:
Wir sind im Sozialrecht, dies ist schon mal etwas ganz anderes. Ferner gilt im Sozialrecht auch nicht der Grundsatz "Unwissenheit schützt nicht vor Strafe".
Hm, dass ist interesannt und gut zu wissen. Wusste ich bisher nicht.
Hast du da entsprechende §§ für mich?
Ich lern ja immer gern dazu. :)

Edit: Gern auch per PN um den Thread nicht noch weiter zu highjacken. ;)

Verfasst: 08.07.2012, 20:42
von Rossi
Na ja, ich persönlich brauche für diesen Grundsatz keine §§.

Ich versuche dort nur 1 und 1 zu addieren. Würde dieser Grundsatz (Unwissenheit schützt nicht vor Strafe) auch im Sozialrecht gelten, dann können wir sofort das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ersatzlos in die Tonne kloppen.

Verfasst: 08.07.2012, 20:44
von Lady Butterfly
Dieser Grundsatz gilt natürlich im Strafrecht (Unwissenheit schützt vor Strafe nicht), aber bitte schön nicht im Sozialrecht. Selbst im Strafrecht gilt der Grundsatz "in dubio pro re". Will heissen, im Zweifel immer für den Angeklagten.
zum einen hast du bei "reo" ein "o" vergessen und zum anderen gibt es im Sozialrecht glücklicherweise keine Angeklagten....von daher kann dieser Grundsatz hier gar nicht passen

....aber gibt es nicht auch im Recht sowas wie "hat gewusst oder hätte wissen müssen"???

selbstverständlich gibt es eine Beratungspflicht im Sozialrecht - aber Beratung setzt voraus, dass jemand diese auch in Anspruch nimmt. Und was die Aufklärung im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Versicherungspflicht betrifft - da gibt's (und gab's) wirklich genügend Infos von Kassen, vom BMG, vom SpiBu, von der Presse etc. - und wer das nicht mitbekommen hat, muss dafür schon gute Gründe nennen.

nochmals zurück zu diesem Fall: es kann natürlich sein, dass die betreffende Kasse kalte Füsse bekommen hat - aber es ist genauso gut möglich, dass man deinen Widerspruch als Grund genommen hat, dem Versicherten entgegen zu kommen. Die Kasse hat auch nicht von riesigen Beitragsrückständen und unzufriedenen Versicherten. Prozesse vorm Sozialgericht kosten Geld - vielleicht mehr als 8000 € und sind möglicherweise eine Quelle für eine negative Publicity. Und wenn Rechtsunsicherheit besteht - wie hier - ist es nicht nur eine juristische Entscheidung, eine Forderung weiter zu verfolgen sondern auch eine wirtschaftliche.

aber egal aus welchem Grund die Entscheidung getroffen wurde: sie ist positiv für den Versicherten und damit gut. Punkt.

Gruß
Lady Butterfly