Anton Butz hat geschrieben:
Jetzt aber auch die gewünschte
Begründung zu b.
dass zwischen Feststellung und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit zu unterscheiden ist, das BSG sich an diese Vorgabe aber nicht gebunden sieht, im Gegenteil:
Zwischen verschiedenen (rechtlichen) Begriffen wie Feststellung und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit zu unterscheiden, ist nicht nur selbstverständlich, sondern auch vom 1. BSG-Senat als erforderlich erkannt worden. Im Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 19/11, ist zutreffend darauf hingewiesen
"dass schon im Ansatz zwischen der ärztlichen Feststellung der AU als Voraussetzung des Krg-Anspruchs(vgl § 46 S 1 Nr 2 SGB V; § 4 Abs 2 AU-RL), der Bescheinigung der ärztlich festgestellten AU (vgl § 6 AU-RL; zur Funktion vgl zB BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 20 mwN, stRspr) und der Meldung der AU (vgl hierzu § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V) zu unterscheiden ist."
An diese eigenen theoretischen Vorgaben sieht sich das BSG in der Praxis aber nicht gebunden, im Gegenteil. Ein „beeindruckendes“ Beispiel offenbaren die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17.07.2014, L 16 KR 429/13, und des BSG dazu vom 16.12.2014, B 1 KR 31/14 R:
Die (bindenden) Feststellungen des LSG NRW lauten:
„Die Klägerin erkrankte arbeitsunfähig (au) mit dem 12.12.2008 (bis zum 13.12.2008). Folgebescheinigungen wurden ausgestellt am 15.12.2008 bis 20.12.2008, am 22.12.2008 bis 31.12.2008, am 02.01.2009 bis 07.01.2009, am 06.01.2009 bis 10.01.2009, am 12.01.2009 bis 17.01.2009, am 16.01.2009 bis 24.01.2009, am 23.01.2009 bis 31.01.2009, am 03.02.2009 bis zum 09.02.2009 und am 09.02.2009 bis zum 15.02.2009.“
Fundstelle:
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... &id=171751
Was das BSG per "Tatbestandsanpassung" daraus gemacht hat, ist kaum zu glauben, aber für Jedermann nachzulesen.
„Die Klägerin erkrankte. Sie ließ ihre Arbeitsunfähigkeit (AU) ärztlich feststellen (am 12.12.2008 und in der Folgezeit, ua am 16.1. bis 24.1., am 23.1. bis 31.1., am 3.2. bis 9.2. und am 9.2. bis 15.2.2009.“
und
„Die ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung für einen Krg-Anspruch erfolgte aber erst nach dem 31.1.2009, am 3.2.2009.“
Fundstelle:
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... &id=175653
Damit sind Feststellung und Bescheinigung gleichgestellt. Das BSG unterstellt ohne jede Basis, dass die frühere Arbeitsunfähigkeits-Feststellung auf die Zeit bis 31.01.2009 beschränkt war und ab 01.02.2009 von Arbeitsfähigkeit ausgegangen wurde. Dies erscheint jedoch äußerst unwahrscheinlich, nachdem der Arzt am 12.12.2008 die Erstbescheinigung und danach 7 Folge-Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen vom 15.12.2008, 22.12.2008, 02.01.2009, 06.01.2009, 12.01.2009, 16.01.2009, 23.01.2009 ausstellte, zuletzt bis 31.01.2009 und die Arbeitsunfähigkeit – auch am 01./02.02.2009 – ununterbrochen bis 08.06.2010 (!) andauerte. Zudem enthalten AU-Bescheinigungen regelmäßig nur "voraussichtlich-bis"-Angaben.
Dem 1. BSG-Senat ist auch bekannt, dass Arbeitsunfähigkeit regelmäßig für längere Zeit festgestellt aber nur für kürzere Zeiten bescheinigt wird. Mit Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11R, hat das Gericht beispielsweise die vertragsärztliche Pflicht erwähnt, AU-Bescheinigungen – unabhängig von der ärztlich festgestellten Dauer der AU – zeitlich einzugrenzen. Dies hängt mit den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (AU-RL) zusammen. Sie sind Bestandteil des Bundesmantelvertrages–Ärzte (BMV-Ä) zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einerseits und den Krankenkassen-Bundesverbänden andererseits. Außerdem machen Krankenkassen entsprechende Vorgaben.
Wenn man den Absatz 26 des Urteils vom 10.05.2012 komplett liest, wird klarer, was das BSG meint:
BSG hat geschrieben:
Nichts anderes gilt im Ergebnis entgegen der Auffassung des LSG hinsichtlich der Regelung zur Bescheinigung der AU bei Entgeltfortzahlung in § 5 Abs 3 S 2 AU-RL. Insoweit setzt sich das LSG schon nicht damit auseinander, dass sich die rechtlichen Anforderungen an die Entstehung eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung grundlegend von jenen an die Entstehung eines Anspruchs auf Krg unterscheiden, und geht insoweit von unzutreffenden Prämissen aus (vgl §§ 3, 5 EntgFG gegenüber §§ 44, 46 SGB V; zur Möglichkeit rückwirkender AU-Bescheinigungen vgl bereits zu §§ 3, 5 LFZG zB BAGE 28, 144, 151). Aber auch, wenn man - abweichend vom LSG - § 6 AU-RL zur Bescheinigung der AU nach Ablauf der Entgeltfortzahlung in den Blick nimmt, gibt diese Regelung für eine Pflichtverletzung schlechterdings nichts her. Insoweit genügt der Hinweis, dass schon im Ansatz zwischen der ärztlichen Feststellung der AU als Voraussetzung des Krg-Anspruchs (vgl § 46 S 1 Nr 2 SGB V; § 4 Abs 2 AU-RL), der Bescheinigung der ärztlich festgestellten AU (vgl § 6 AU-RL; zur Funktion vgl zB BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 20 mwN, stRspr) und der Meldung der AU (vgl hierzu § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V) zu unterscheiden ist. Die Regelung in § 6 AU-RL nimmt für sich in keiner Weise in Anspruch, die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen des Krg-Anspruchs zu konkretisieren oder gar zu modifizieren. Sie ist ungeeignet, pflichtwidrig falsche Vorstellungen von den gesetzlichen Voraussetzungen des Krg-Anspruchs oder von den Obliegenheiten Versicherter zur Wahrung ihrer Rechte zu erzeugen.
http://juris.bundessozialgericht.de/cgi ... n&nr=12600
Wie das BSG ausführt, ist
für den Anspruch auf Krankengeld die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit maßgebend. Bescheinigt werden kann eine Arbeitsunfähigkeit auch für einen zurücklegenden Zeitraum, eine rückwirkende
Bescheinigung führt allerdings nicht zu einem rückwirkenden Anspruch auf Krankengeld, da sie rückwirkend
festgestellt wird und der Anspruch auf Krankengeld erst nach der
Feststellung (auch der rückwirkenden Arbeitsunfähigkeit) entsteht.
Darauf weist das BSG explizit hin.
Insoweit ist es nur konsequent, wenn das BSG beim Urteil vom 16.12.2014 nur auf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit eingeht:
BSG hat geschrieben:
Sie ließ ihre Arbeitsunfähigkeit (AU) ärztlich feststellen (am 12.12.2008 und in der Folgezeit, ua am 16.1. bis 24.1., am 23.1. bis 31.1., am 3.2. bis 9.2. und am 9.2. bis 15.2.2009).
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... &id=175653
Wobei ich sowieso nicht verstehe, worin dein Problem liegt. Auch das LSG schrieb von der Feststellung.
LSG hat geschrieben:
Die Klägerin erkrankte arbeitsunfähig (au) mit dem 12.12.2008 (bis zum 13.12.2008). Folgebescheinigungen wurden ausgestellt am 15.12.2008 bis 20.12.2008, am 22.12.2008 bis 31.12.2008, am 02.01.2009 bis 07.01.2009, am 06.01.2009 bis 10.01.2009, am 12.01.2009 bis 17.01.2009, am 16.01.2009 bis 24.01.2009, am 23.01.2009 bis 31.01.2009, am 03.02.2009 bis zum 09.02.2009 und am 09.02.2009 bis zum 15.02.2009.
Dazu muss man wissen, dass auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Ausstellungstag immer der Feststellungstag (festgestellt am) steht.
Also bitte keine Verschwörungstheorien konstruieren, wo es keine Verschwörung gibt. Und ein wenig Grundlagenwissen kann nie schaden.