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Verfasst: 25.06.2011, 18:23
von Jessy
Zu heinrich's Beitrag:
§ 27 SGB IV regelt den Erstattungsanspruch, also evtl. den Fall, in dem ich keine Aussetzung der Vollziehung beantrage und später Recht bekomme. Mir passt diese Regelung aber nicht so Recht auf den Fall, in dem ein Widerspruch bzw. eine Klage geführt wird. Was ist z.B. unter Antrag auf Erstattung zu verstehen? Wird dieser erst nach Erfolg gestellt, so würden ohnehin keine Zinsen anfallen. (?)
Zur Regelung bis 2008: Meine Kasse hatte eine eigene Regelung, nach der nur in dem Fall, in dem das Mitglied überhaupt keine eigenen Einkünfte hatte, die Hälfte des Ehegatteneinkommen zugrunde gelegt wurde. Da ich ein kleines eigenes Einkommen hatte, war dieses, bzw. die Mindestbemessungsgrundlage maßgebend. Andere Kassen hatten andere Regelungen. Ab 01.01.2009 traten die kasseneigenen Regelungen außer Kraft, da jetzt nach § 240 SGB V die Beitragsbemessung bundeseinheitlich durch den SpiBu geregelt werden sollte.
Was die Äußerung "Aufschiebende Wirkung: keine Chance..." bedeuten soll, weiß ich nicht so ganz. Bei ernstlichen Zweifeln muss die Kasse die aufschiebende Wirkung herstellen. Sh. hierzu § 86a SGG und auch Hess. LSG 21.02.2011 (1 KR 327/10 B ER). Dieses Urteil ist eines der oben genannten, die die Beitragsverfahrensgrundsätze des SpiBu für unwirksam erachten. Das Gericht hatte die Aussetzung der Vollziehung für zwingend gehalten.
Zu Czauderna's Beitrag:
Wenn des BSG die Unwirksamkeit der Beitragsverfahrensgrundsätze des SpiBu bestätigt, gäbe es keinen Zinsanspruch, wenn die Vollziehung ausgesetzt würde. Dann wäre ja auch nichts mehr zu zahlen. Wird die Vollziehung nicht ausgesetzt, hätte ich einen Erstattungsanspruch. Hier könnte vielleicht (?) - wie heinrich schreibt - § 27 SGB IV als Anspruchsgrundlage für eine Zinsforderung meinerseits an die Kasse gelten können.
Bestätigt das BSG dagegen die Rechtswirksamkeit, so ist es umgekehrt. Wird die Vollziehung ausgesetzt, müsste ich nachzahlen und die Kasse könnte evtl. (?) Zinsen verlangen.
Übrigens sehe ich die Chancen nicht schlecht. Schließlich gibt es schon 2 Urteile in diesem Sinne. Wenn das BSG diese bestätigt, dann sind die Verfahrensgrundsätze des SpiBu von vornherein nicht als gültige Rechtsgrundlage anzusehen. Der SpiBu würde dann allerdings das ganze als Satzung beschließen, um es rechtsgültig zu machen.
Das Urteil des SG München vom 02.03.2010 (S 19 KR 873/09) geht sogar noch weiter. Es hält die Ermächtigung in § 240 SGB V für den SpiBu und damit natürlich auch eine Regelung durch den SpiBu für verfassungswidrig, da es gegen die Kompetenzordnung des GG verstößt. Rechtsetzungskompetenzen darf danach der Gesetzgeber nur auf Selbstverwaltungskörperschaften übertragen, soweit es sich auch wirklich um Selbstverwaltungsangelegenheiten handelt. Nach Auffassung des SG ist diese Voraussetzung, seitdem es den Gesundheitsfonds gibt, nicht mehr gegeben, so dass die Beitragsangelegenheiten ausschließlich durch Bundesgesetz geregelt werden dürfen.
Gruß
Jessy
Verfasst: 25.06.2011, 18:51
von CiceroOWL
Das kann denn so ablaufen, wenn die Kasse sich aber schon quer stellt und auf die Zinszahlung besteht, was auch der Kassler Kommentar nicht hergibt, Meinung des BSG, müßte denn wieder mit der Kasse gerungen werden das die Verzinsung ausgesetzt wird, für das laufende Verfahren. Allerdings wie das denn geregelet wird wenn das BSG dem Spibu folgt und der Verzinsung,.... käme denn glaube ich auf die Entscheidung des BSG an, wie das Verfahren durchzuführen ist.
Verfasst: 25.06.2011, 18:59
von Jessy
Um nochmal mein Anliegen klar zu machen:
Im Grunde ist es mir egal, ob Zinsen anfallen oder nicht. Ich möchte es nur gern vor Einlegung des Widerspruchs wissen, um entsprechend handeln zu können.
Sind Nach- oder Rückzahlungen nach Abschluss des Verfahrens zu verzinsen, werde ich mit dem Widerspruch keine Aussetzung der sofortigen Vollziehung beantragen. Dann riskiere ich keine zusätzliche Zinsbelastung im Falle des Unterliegens, erhalte aber Zinsen im Falle des Erfolgs.
Sind dagegen keine Zinsen zu zahlen, würde ich die Aussetzung der Vollziehung beantragen.
Gruß
Jessy
Verfasst: 25.06.2011, 20:07
von Rossi
Upsela, das ist aber eine spannende Frage.
Also, ich würde jetzt erst einmal löhnen, denn eine bessere Kapitanlage - wenn das BSG auch so entscheidet - kann es nicht geben.
Auszug aus SGB Haufe zu § 27 SGB IV:
Voraussetzung für die Verzinsung des Erstattungsanspruchs ist ein vollständiger Erstattungsantrag. Aus dem Urteil des BSG v. 16.4.1985 (12 RK 19/83, USK 8553) ergibt sich, dass in einem Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid oder in einer unter Vorbehalt erfolgten, unfreiwilligen Erfüllung einer Beitragsforderung zugleich ein Erstattungsantrag enthalten ist; das gilt selbst dann, wenn die Beiträge zu dieser Zeit noch nicht entrichtet waren. Der zu unterstellende Erstattungsantrag wirkt dann für später entrichtete Beiträge fort.
Will heissen, Du löhnst erst einmal von mir aus auch unter Vorbehalt. Dies stellt dann schon einen Erstattungsanstrag im Sinne von § 27 SGB IV dar..
Das BSG entscheidet dann in 4 Jahren gegen den Spitzbubenverband und dann bekommst Du pro Monat 4 % Zinsen, weil sich jenes explizit aus § 27 SGB IV ergibt. Wir sind hier dann nicht in § 44 SGB I sondern spezialgesetzlich in § 27 SGB IV
Whow, was willst Du noch mehr? Ich habe noch nie so schnell und viel Geld verdient, wie mit dieser Nummer.
Ich würde demnach die Machenschaften des Spibus ggf. als Kapitalanlage sehen.
Natürlich musst Du vorm BSG gewinnen, sonst ist es keine Kapitalanlage.
Aber vor Gericht und auf hoher See, weiss man nie wohin die Reise geht.
Boah, mit dieser Geschichte könnte man glatt an die Börse gehen, denn 48 % Profit pro Jahr habe ich noch nicht erlebt.
Hoffentlich sind sich die Herrschaften beim Spibu über diese Problematik im klaren.
Verfasst: 26.06.2011, 08:20
von heinrich
die 4 % sind aber Jahreszinsen und nicht pro Monat
Verfasst: 27.06.2011, 11:32
von Jessy
Hallo Rossi,
der Einwand von heinrich, es handele sich um eines Jahreszins, dürfte richtig sein. Aber auch das ist noch das 4-fache von dem, was z.Zt. meine Sparkasse für Tagesgeld zahlt. Über 4 Jahre könnte ein Zinsbetrag von immerhin auch 600 bis 700 € zusammenkommen.
Sehr interessant ist der Hinweis auf das Urteil vom 16.04.1985. Allerdings gelingt es mir nicht trotz heftigen Googelns, den Volltext zu finden. Zweifel sind bei mir noch aus folgenden Gründen gegeben:
Es gibt "Gemeinsame Grundsätze zur Verrechnung und Erstattung ..." aller Sozialversicherungsträger vom 16.11.2005, in denen auch die Verzinsung genannt ist. Allerdings geht man darin überall nur von Pflichtbeiträgen aus einem Beschäftigungsverhältnis aus.
Wäre schön, wenn mir jemand benennen könnte, wo ich das von Rossi genannte Urteil im Volltext finden kann. Vielleicht kann man daraus noch Weiteres ableiten.
Gruß
Jessy
Verfasst: 27.06.2011, 12:47
von Rossi
Upsela, Asche auf mein Haupt. Es sind in der Tat nur 4 % pro Jahr. Kommt davon, wenn man im Hopp, Hopp, Schweinsgalopp etwas liest.
Die Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV betragen pro Monat 1 % und die Erstattungszinsen nach § 27 SGB IV 4 % pro Jahr.
Aber Jessy, ich würde auch noch anders ansetzen. Bist Du dir wirklich sicher, dass der Spibu nicht einfach rückwirkend dies als Satzung erlassen kann? Denn dann ist alles umsonst.
Rückwirkende belastende Regelungen (Erlass der einheitlichen Grundsätze als Satzung) finden ihre Grenzen im Vertrauensschutz. Inhaltlich besteht aber schon eine Regelung, dass das Ehegatteneinkommen zu beürcksichtigten ist, leider sind diese Regelungen formal korrekt nicht erlassen worden.
Da aber inhaltlich die Regelung (jedoch ggf formell nicht rechtmäßig)bereits existiert und durch eine zu erwartende "Nachbesserung" nur die formalen Erfordernisse "glattgezogen" würden, könnte für einen Vertrauenschutz für die versicherten Personen kein Raum bestehen, oder?
Verfasst: 27.06.2011, 12:53
von Rossi
Hier hast Du die BSG Entscheidung
BSG Urteil vom 16.04.1985 - 12 RK 19/83
Beteiligte
Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte
Prozeßbevollmächtigter:
Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über Zinsansprüche der Klägerin.
Die Beklagte forderte mit Beitragsbescheiden vom 3. und 28. Oktober 1974 von der Klägerin Beiträge für einen bei ihr beschäftigten Studenten. Widerspruch, Klage und Berufung blieben zunächst erfolglos. Nach Zurückverweisung der Sache durch das Bundessozialgericht (BSG) entschied letztlich das Landessozialgericht Hamburg (LSG) mit Urteil vom 10. November 1981, daß der Beitragsanspruch nicht zu Recht bestehe, und hob die Bescheide der Beklagten auf. Das Urteil ist seit dem 25. April 1982 rechtskräftig.
Der Widerspruch wurde seinerzeit mit Schreiben vom 18. Oktober 1974 eingelegt, die Klage am 12. Juni 1975 erhoben, die erste mündliche Verhandlung fand am 23. Januar 1978 statt. Die Beiträge (für den Zeitraum vom 1. Dezember 1971 bis zum 8. August 1973) wurden in der Zeit vom 22. Juli 1975 bis 7. Februar 1977 in monatlichen Raten von 200,-- DM sowie am 7. März 1977 in Höhe des Restes von 127, 55 DM (insgesamt 4.127, 55 DM) an die Beklagte gezahlt.
Aufgrund des Urteils vom 10. November 1981 zahlte die Beklagte hiervon am 22. Juni 1982 3.984, 40 DM zurück. Gegen die Höhe der Rückzahlung werden von der Klägerin keine Einwendungen erhoben. Geltend gemacht werden jedoch Zinsen von durchschnittlich 14% für die Zeit seit der Abführung der Beiträge bis 30. Juni 1982 in Höhe von insgesamt 3.635, 31 DM zuzüglich weiterer Kosten und Zinsen.
Die Beklagte lehnte diese Forderung ab (Bescheid vom 29. Juli 1982, Widerspruchsbescheid vom 1. November 1982). Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Sozialgericht Hamburg (SG) verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 4% Zinsen auf einen Betrag von 3.635, 31 DM für die Zeit vom 1. Juli 1977 bis 31. Mai 1982. Im übrigen wies es die Klage ab; die Sprungrevision wurde zugelassen (Urteil vom 8. März 1983).
Das SG war der Auffassung, daß für die Entscheidung des Rechtsstreits § 27 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) maßgeblich sei. Nach Art. 2 § 14 SGB 4 gelte § 27 SGB 4 für die nach seinem Inkrafttreten fällig werdenden Erstattungsansprüche. Der Erstattungsanspruch der Klägerin sei erst nach dem 1. Juli 1977 fällig geworden. Die Fälligkeit sei nicht gleichzusetzen mit der Entstehung des Anspruchs. Nach § 26 Abs. 1, 1. Halbs. SGB 4 seien zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten. Solange die Beitragsbescheide der Beklagten nicht aufgehoben waren, sei in ihnen eine Rechtsgrundlage für die Entrichtung der Beiträge zu sehen gewesen. Erst mit der rechtskräftigen Aufhebung durch Urteil vom 10. November 1981 sei der Beitragsverpflichtung die Rechtsgrundlage entzogen worden und damit der Erstattungsanspruch fällig geworden. Entstanden sei er allerdings schon früher, nämlich im Zeitpunkt der Zahlung der jeweiligen Beitragsrate. Zugleich mit dieser - unter Vorbehalt erfolgten - Zahlung habe die Klägerin die Erstattung des gezahlten Betrages i.S. des § 27 Abs. 1 SGB 4 beantragt.
Dementsprechend sei der Erstattungsanspruch nach § 27 SGB 4 für die Zeit ab 1. Juli 1977 (Inkrafttreten des SGB 4) zu verzinsen; denn zu diesem Zeitpunkt seien alle Beitragsraten entrichtet gewesen. Der Zinssatz betrage 4%. Die Verzinsung ende mit dem Kalendermonat vor der Rückzahlung der Beiträge, hier also mit dem 31. Mai 1982.
Weitere Zinsansprüche seien nicht gegeben. Das BSG habe in ständiger Rechtsprechung in der Zeit vor Inkrafttreten des SGB 4 entschieden, daß Zinsen im Bereich des Sozialrechts nur in dem Umfang zu zahlen seien, in dem sie ausdrücklich gesetzlich vorgesehen seien. Es habe auch entschieden, daß sich daran mit Inkrafttreten der §§ 44 des Sozialgesetzbuches - Allgemeine Vorschriften für die Sozialversicherung - und 27 SGB 4 nichts geändert habe (BSG vom 18. Dezember 1979 - 2 RU 3/79 - BSGE 49, 227). Auch ein Anspruch auf Prozeßzinsen sei zu verneinen. § 27 SGB 4 habe die Zinsforderung abschließend geregelt. Auch für die Forderung auf Ersatz der Kosten und Zinseszinsen gebe es keine Rechtsgrundlage. Diese Regelung sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es sei allenfalls an Ansprüche aus Amtspflichtverletzung zu denken (BSG vom 26. Januar 1967 - 3 RK 42/64 - SozR Nr. 3 zu § 1424 RVO = USK 6711).
Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligten Revision eingelegt.
Die Klägerin ist der Auffassung, daß das Recht der Beklagten, im Säumnisfalle Säumniszuschläge zu erheben, unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten eine Verzinsungspflicht bei zu Unrecht erhobenen Beiträgen erfordere, und zwar in Höhe der dem Beitragszahler selbst entstandenen Zinsen. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem basiere auf der Geldverzinsung. Dies sei auch im Rahmen des Sozialrechts zu berücksichtigen. Die Klägerin beruft sich in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des LSG Niedersachsen (Breithaupt 1964, 639), das einem zu Unrecht in Anspruch genommenen Bürger einen Folgenbeseitigungsanspruch hinsichtlich aller für den Verwaltungsträger konkret absehbaren, Folgen der unrichtigen Inanspruchnahme zubilligt, d.h. auch Ersatz der Zinsen eines aufgenommenen Bankkredits sowie Prozeßzinsen nach § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. November 1982 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12% Zinsen aus 3.710, 31 DM seit dem 1. Januar 1982 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, daß § 27 SGB 4 hier nicht anwendbar sei, weil die erstatteten Beiträge bereits vor dem 1. Juli 1977 gezahlt worden seien und zu diesem Zeitpunkt auch schon ein vollständiger Erstattungsantrag vorgelegen habe, die Erstattungsforderung mithin schon vor dem Stichtag fällig gewesen sei. Sie beruft sich auf ein Urteil des BSG vom 23. Juni 1982 (9b/8 RU 6/81). Sei man aber der Auffassung, daß der Erstattungsanspruch erst mit der Rechtskraft des Urteil des LSG Hamburg fällig geworden sei (25. April 1982), so seien gleichfalls keine Zinsen zu zahlen. In diesem Fall sei nämlich zu berücksichtigen, daß dem Erstattungsanspruch rechtzeitig innerhalb der Frist des § 27 Abs. 1 SGB 4 entsprochen worden sei. Höhere Zinsen als 4% könnten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht kommen. Dies sei vom BSG bereits im Urteil vom 26. Januar 1967 (3 RK 42/64) entschieden worden.
Beide Beteiligten beantragen außerdem, jeweils die Revision des Gegners zurückzuweisen.
Sie haben sich damit einverstanden erklärt, daß durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) entschieden wird.
II
Beide Revisionen sind unbegründet.
Das SG hat zutreffend entschieden, daß § 27 SGB 4 auf den vorliegenden Fall Anwendung findet. Nach Art. 2 § 14 SGB 4 gelten die §§ 24 und 27 Abs. 1 SGB 4 "nur für die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes fällig werdenden Beitrags- und Erstattungsansprüche". Dabei bezieht sich das Wort "Beitragsansprüche" auf § 24 SGB 4, das Wort "Erstattungsansprüche" auf § 27 Abs. 1 SGB 4. Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist nach Inkrafttreten des SGB 4 (1. Juli 1977) fällig geworden.
Ein Anspruch auf Erstattung von Beiträgen (§ 26 SGB 4) kann erst fällig werden, wenn er von dem erstattungspflichtigen Versicherungsträger zu erfüllen ist. Das ist bei Beiträgen, die von einer Krankenkasse durch einen Heranziehungsbescheid gefordert worden sind, erst der Fall, nachdem dieser Bescheid aufgehoben worden ist. Solange das nicht geschehen ist, muß auch eine mit der Klage angefochtene Beitragsforderung von dem in Anspruch genommenen Adressaten des Bescheids zunächst erfüllt werden, da die Klage insoweit keine aufschiebende Wirkung hat (§ 97 Abs. 1 SGG). Insofern ist der Bescheid die formelle Rechtsgrundlage für die Beitragsentrichtung. Erst wenn diese Rechtsgrundlage beseitigt ist, kann der Erstattungsanspruch fällig werden.
Hier sind die Beitragsbescheide der Beklagten mit dem (in mündlicher Verhandlung ergangenen) Urteil des LSG vom 10. November 1981 aufgehoben worden. Es kann dahinstehen, ob für die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs der Klägerin der Zeitpunkt der Verkündung des Urteils oder der Zeitpunkt seiner Rechtskraft maßgeblich ist. In jedem Fall liegt der Zeitpunkt der Aufhebung der Bescheide in der Zeit nach dem 1. Juli 1977, so daß § 27 SGB 4 Anwendung findet. Aus dem von der Beklagten erwähnten Urteil des BSG vom 23. Juni 1982 (9b/8 RU 6/81) ergibt sich nichts anderes; es betrifft die Fälligkeit von Leistungen für die Zeit vor ihrer Feststellung durch Urteil.
Weitere Einschränkungen enthält Art. 2 § 14 SGB 4 nicht. Insbesondere ist darin nicht vorgesehen, daß § 27 Abs. 1 SGB 4 und deshalb die Verzinsung des Erstattungsanspruchs erst vom Zeitpunkt seiner Fälligkeit an gilt; vielmehr muß der genannten Übergangsvorschrift und dem Art. 2 § 21 SGB 4 entnommen werden, daß § 27 Abs. 1 SGB 4 für die Zeit seit seinem Inkrafttreten anzuwenden ist, also ab 1. Juli 1977, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift an diesem Tage vorlagen (so offenbar auch Schwerdtfeger, SGB-SozVers-GesKomm., § 27 SGB 4, S. 300/25). Die Verzinsung eines - nach dem 1. Juli 1977 fällig gewordenen - Erstattungsanspruchs hat somit bereits mit diesem Tage begonnen, wenn damals, wie § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB 4 fordert, ein vollständiger Erstattungsantrag (oder bei seinem Fehlen eine Erstattungsentscheidung) vorlag und seit seinem Eingang (ihrer Bekanntgabe) ein Kalendermonat abgelaufen war. Das war hier der Fall.
Die Beklagte meint allerdings, aus den Grundgedanken des Zinsrechts folgern zu können, daß die Verzinsung eines Anspruchs stets seine Fälligkeit voraussetze. Dem kann der Senat wegen der Besonderheiten des Beitragsverfahrens im Sozialrecht nicht zustimmen. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Regelungen des SGB 4 zur Verzinsung von Ansprüchen gegen Sozialleistungsträger nicht mit den zivilrechtlichen Regelungen über Verzugszinsen und Prozeßzinsen (§§ 288, 291 BGB) vergleichbar sind. Besonders deutlich wird dies an § 24 SGB 4, der anstelle von Verzugszinsen, Prozeßzinsen und Schadensersatzansprüchen allein Säumniszuschläge vorsieht, die die Einzugsstelle nach ihrem Ermessen auferlegen kann. Aber auch § 27 SGB 4 zeigt deutliche Unterschiede gegenüber dem Zivilrecht. Er stellt weder auf die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs ab noch auf ein Verschulden des Versicherungsträgers noch auf die Höhe eines dem Erstattungsberechtigten etwa entstandenen Schadens (z.B. gezahlte Bankzinsen). Diese Eigenständigkeit der Verzinsung sozialrechtlicher Ansprüche schließt es aus, ohne weiteres von bürgerlich-rechtlichen Normen auszugehen oder dort entwickelte Grundsätze heranzuziehen (so z.B. auch Maier, RV 78, 128, 129; Schwerdtfeger, a.a.O., § 27 SGB 4, S. 300/28). Die Voraussetzungen der Verzinsung solcher Ansprüche sind somit allein dem § 27 SGB 4 zu entnehmen. Hier kommt es deshalb für den Beginn der Verzinsung nur darauf an, ob zum fraglichen Zeitpunkt (1. Juli 1977) ein vollständiger Erstattungsantrag vorlag und die Beiträge entrichtet waren.
Ein vollständiger Erstattungsantrag lag vor. Das SG hat zu Recht angenommen, daß in einem Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid oder in einer unter Vorbehalt erfolgten, unfreiwilligen Erfüllung einer Beitragsforderung zugleich ein Erstattungsantrag enthalten ist (so auch Wolber, BIStSozArb. 81, 294, 296; Schwerdtfeger, a.a.O., § 27 SGB 4, S. 300/33 unter 8b); das gilt selbst dann, wenn die Beiträge zu dieser Zeit noch nicht entrichtet waren. Der zu unterstellende Erstattungsantrag wirkt dann für später entrichtete Beiträge fort. Diese sind hier auch lange vor dem frühestmöglichen Beginn der Verzinsung (1. Juli 1977) entrichtet worden.
Aus alledem ergibt sich, daß die Revision der Beklagten unbegründet ist; sie hat den Erstattungsanspruch der Klägerin ab 1. Juli 1977 in Höhe von 4% zu verzinsen, wie das SG zutreffend entschieden hat.
Auch die (auf die Zeit ab 1. Januar 1982 beschränkte) Revision der Klägerin ist zurückzuweisen. Sie hat für die Zeit nach dem 1. Juli 1977 weder einen Anspruch auf höhere Zinsen noch auf Kreditkosten. Dabei hat der Senat nicht darüber zu befinden, ob es rechtspolitisch vertretbar oder sogar sachgerechter wäre, in Fällen der vorliegenden Art einem erstattungsberechtigten Arbeitgeber mit Rücksicht auf seinen eigenen Zinsaufwand höhere als in § 27 SGB 4 vorgesehene Zinsen zuzubilligen. Der Gesetzgeber hat die Frage der Verzinsung von Erstattungsansprüchen in § 27 SGB 4 abschließend geregelt. Diese Regelung läßt es nicht zu, Normen des BGB ergänzend anzuwenden (s. auch Maier, RV 78, 128, 129). Es bleibt lediglich die Möglichkeit, über § 27 SGB 4 hinausgehende Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes herzuleiten. Ein solcher Schadensersatzanspruch könnte dabei nur auf eine Amtspflichtverletzung der Einzugsstelle gegründet werden (§ 839 BGB). Die Entscheidung über solche Ansprüche ist aber den Zivilgerichten vorbehalten.
Auch der für die Folgen von Verwaltungsfehlern entwickelte Folgenbeseitigungsanspruch führt hier nicht zu höherer Verzinsung. Dieser Anspruch richtet sich von seiner Definition her auf die Beseitigung eines Zustandes, der infolge rechtswidrigen Verwaltungshandelns eingetreten ist, und geht nicht auf Schadensersatz in Geld (so z.B. Rüfner in: Erichsen/Martens, Allg. VerwR., 6. Aufl., § 53 V, S. 522 oben; s. BSG, Urteil vom 26. Januar 1967 - 3 RK 42/64 -). Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 7, 95 und ständige Rechtsprechung) hat - entgegen der Auffassung der Klägerin - eine Zubilligung von Prozeßzinsen nicht auf einen Folgenbeseitigungsanspruch, sondern auf Treu und Glauben gestützt ( a.a.O. S. 97). Dieser Weg ist im Bereich des Sozialrechts aber durch die abschließende Sonderregelung des § 27 Abs. 1 SGB 4 verschlossen.
Entsprechendes gilt für einen Herstellungsanspruch. Mit ihm könnte außerdem nicht mehr verlangt werden, als mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelungen zu verwirklichen ist, also niemals die Zahlung höherer Zinsen (a.A. Schwerdtfeger, a.a.O., § 27 SGB 4, S. 300/28 unter 2g/aa).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis sind nicht erkennbar. § 27 SGB 4 enthält eine generalisierende Regelung, die sowohl beim Erstattungsberechtigten wie beim Erstattungspflichtigen von subjektiven Momenten (Verschulden) absieht und sich deshalb je nach Lage des Falles auch zugunsten des Arbeitgebers auswirken kann; im übrigen hält sich dessen mögliche Belastung durch die Indienstnahme (BSGE 41, 297) in noch vertretbaren Grenzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.12 RK 19/83
Verfasst: 27.06.2011, 13:44
von Jessy
Rossi hat geschrieben:Hier hast Du die BSG Entscheidung
BSG Urteil vom 16.04.1985 - 12 RK 19/83 ....
Hallo Rossi,
herzlichen Dank für den Volltext des Urteils. Ich denke, dass darin klare Aussagen enthalten sind. Ich gehe mal davon aus, dass ich als freiwilliges GKV-Mitglied auch Beiträge zahle, die als "Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung" zu qualifizieren sind... Daher sehe ich keinen Anlass, anzunehmen, dass § 27 SGB IV auf meinen Fall nicht anzuwenden ist.
Ich werde deshalb wohl darauf verzichten, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung zu beantragen.
Eine andere Frage noch: Sieht jemand eine Möglichkeit, mit dem Versicherten in Bayern, der das dortige Verfahren wegen der (Un-) Wirksamkeit der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler führt, Kontakt aufzunehmen?
Gruß
Jessy
Verfasst: 27.06.2011, 20:03
von Rossi
Es ist egal, ob man freiw. Beiträge oder Pflichtbeiträge zur KV/?V zahlt.
Die Bestimmungen des § 27 SGB IV gelten für beide.
Na ja, ob Du an den Namen oder die Adresse des Versicherten im Verfahren vor dem LSG Bayern bekommst, wage ich zu bezweifeln.