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von Qarsten » 30.12.2015, 13:34
Hallo zusammen,
anlässlich eines erwogenen Kassenwechsels habe ich mich mit der Problematik der Beitragsbemessung bei Selbständigen gerade auch nochmal auseinandergesetzt. Auch mir ist es 2013 in einer früheren Selbständigkeit passiert, dass ich bei gesunkenen Einkünften aufgrund von extrem langen Bearbeitungszeiten des zuständigen Finanzamtes monatelang zu hohe Beiträge zahlen musste, bis dass diese durch den neuen Steuerbescheid herabgesetzt werden konnten. Mein damaliger Widerspruch blieb ergebnislos.
Ich versuche einmal, für andere Betroffene die Beitragsbemessung für Selbständige aus Versichertensicht zu erläutern. Hierbei ist es zunächst wichtig, zu wissen, dass es 3 verschiedene Mindestbemessungsgrenzen gibt:
1. Die reguläre Mindestbemessungsgrenze für Selbständige: 1/40 der monatl. Bezugsgröße, d.h. 2178,75 € pro Monat.
2. Die "Härtefall-Mindestbemessungsgrenze": Diese gilt nur auf Antrag und setzt voraus, dass entweder Gründungszuschuss bezogen wird, oder dass keine Einkünfte aus Kapitalvermögen vorhanden sind bzw. das Kapitalvermögen max. 4*2905 € beträgt. Dann gilt 1/60 der monatl. Bezugsgröße, d.h. 1452,50 € pro Monat.
3. Die Mindestbemessungsgrenze für sonstige freiwillig Versicherte: Diese kommt dann in Betracht, wenn die selbständige Tätigkeit nicht hauptberuflich ausgeübt wird. Dies ist selbst dann möglich, wenn keine andere Erwerbstätigkeit vorliegt. Eine nebenberufliche selbständige Tätigkeit kann vorliegen, wenn
- max. 726,25 € Einkommen erzielt werden oder
- max. 1452,50 € Einkommen erzielt werden und 20-30 Std./Woche gearbeitet wird oder
- max. 2178,25 € Einkommen erzielt werden und max. 20 Std./Woche gearbeitet wird
Dann gilt: 1/90 der monatl. Bezugsgröße, d.h. 968,33 €.
Wichtig ist es zu wissen, dass die Beitragsbemessung somit zunächst von der Zuordnung zu einer bestimmten Personengruppe und erst danach vom Einkommen abhängig ist. Bestimmte Personengruppen wie z.B. Fachschüler im zweiten Bildungsweg oder Ehepartner im Rahmen der Familienversicherung (bei Einkommen bis ca. 405 € pro Monat) können ggf. noch günstiger eingestuft werden.
Bei Neugründungen werden die Beiträge zunächst vorläufig anhand der Mindestbemessungsgrenze festgesetzt, wobei man als Betroffener selbst überprüfen sollte, ob man die Kriterien für eine möglichst geringe Mindestbemessungsgrenze erfüllen kann.
Die somit vorläufig festgesetzten Beiträge werden dann mit dem ersten Steuerbescheid rückwirkend und für die Zukunft (bis zum nächsten Steuerbescheid) endgültig festgesetzt.
An dieser Stelle entstehen zwei mögliche Ungerechtigkeiten:
1. (zugunsten des Versicherten): Da im 1. Jahr der Betriebsgründung zumeist weniger verdient wird als im 2. Jahr, profitiert der Versicherte, da er im 2. Jahr dennoch die Beiträge bezahlt, die auf dem Einkommen des 1. Jahres fußen.
2. (zulasten des Versicherten): Problematisch sind immer sinkende Einkommen: In der Anfangszeit, wenn dadurch die zugrunde gelegte Mindestbemessungsgrenze unterschritten wird; in der Folgezeit, weil dann bis zur Absenkung der Beiträge erst auf den neuen Steuerbescheid gewartet werden muss. In der Zwischenzeit kann eine Absenkung meines Wissens nur erfolgen, wenn dies beantragt wird, das Einkommen um min. 25 % gesunken ist und ein entsprechend geänderter Vorauszahlungsbescheid des Finanzamtes mit eingereicht wird (falls die SoFa’s hier im Forum andere Möglichkeiten kennen, höre ich gerne davon!). Diese Beantragung sollte jedenfalls immer möglichst zeitnah erfolgen. Hierbei sollte man immer im Kopf haben, dass sich ggf. die Personengruppe, zu der man gehört, geändert haben könnte.
Warum in Deutschland dieses komplizierte System angewendet wird, ist mir ein Rätsel. Wesentlich einfacher läuft’s in Österreich: Dort werden die Beiträge für Selbständige für ein bestimmtes Kalenderjahr immer zunächst vorläufig festgesetzt, und wenn dann der Steuerbescheid da ist, gibt es eine Nachzahlung oder Rückerstattung.
Zu meiner Situation von 2013: Ich sehe derzeit keine Möglichkeit, die Beiträge, die ich wegen des zu spät erhaltenen Steuerbescheides ungerechterweise zuviel gezahlt habe, zurückzufordern. Falls jemand dennoch Tips hat, bin ich natürlich dankbar. Für die Zukunft habe ich daraus gelernt, immer zeitnah auf geänderte Vorauszahlungsbescheide hinzuwirken und dann eine dementsprechende Einstufung bei der KK zu beantragen, auch wenn das einiges an Bürokratie mit sich bringt.
@ Neustarter: Zunächst ist es sehr löblich, wenn Du versuchst, die Ungerechtigkeiten bei der Beitragsbemessung für Selbständige zu kippen. Ich hoffe, dass Du dabei Erfolg haben wirst und kann Dich nur ermutigen, diese Klage stellvertretend für viele Selbständige auch anzustreben. Ich drücke Dir die Daumen!
Wenn es Dir weniger um die grundsätzliche Veränderung, sondern „nur“ um die zuviel gezahlten Beiträge geht, bietet sich ggf. auch die folgende Vorgehensweise als Workaround an:
Stelle nach § 44 SGB X einen Überprüfungsantrag für Deine damaligen Beitragsbescheide und begründe dies damit, dass die falsche Mindestbemessungsgrenze (s.o.) zugrunde gelegt wurde. Verweise dabei auf die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler vom 10.12.2014 und die „Grundsätzliche Hinweise zum Begriff der hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit“ vom 23.7.2015 des GKV-Spitzenverbandes.
Einen netten Gruss
Qarsten