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von vlac » 04.12.2013, 15:56
Hallo,
@Swantje B.: In der im EBM angegebenen Liste dürfte sich bei jedem Patienten in diesem Alter etwas finden lassen, was die Positionen abrechenbar macht. Beispiel: Viele haben Arthrose; Arthrose verursacht Schmerzen, und weil das über einen sehr langen Zeitraum so weiter geht, haben wir das therapieresistente (therapiefraktäre) Schmerzsyndrom.
@Poet: Bitte entschuldige, dass ich Dir da widerspreche. Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum solche Tests durch den Arzt selbst durch geführt werden müssen, auch wenn es so explizit nicht im EBM drin steht.
Es geht hier darum, eine Diagnose zu stellen. Eine Diagnose darf aber nur ein Arzt stellen. Nur in genau abgegrenzten Situationen darf eine solche Diagnose gestellt werden, ohne den Patienten selbst untersucht zu haben, und zwar immer dann, wenn es genaue diagnostische Befunde gibt: Ein Röntgenbild, auf dem eine Fraktur deutlich zu sehen ist, beispielsweise. Abnorme Blutwerte, auch, aber nur bis zu einem gewissen Grade.
Würde es beim Demenztest nur darum gehen, einen Fragebogen auszufüllen, dann könnte man hier gerade noch sagen, dass auch das zulässig ist, wobei man sich dann über die Aussagekraft eines solchen Fragebogens streiten müsste, denn, um es mit House MD zu sagen: "everybody lies".
Bei den zur Verfügung stehenden Demenztests, die wissenschaftlich anerkannt sind, geht es aber meist auch um die Art, wie ein Patient Fragen beantwortet, oder Aufgaben löst: Malt er die Uhr auf Anhieb richtig? Braucht er Zeit dafür? Theoretisch wäre es möglich, dass eine dafür ausgebildete Sprechstundenhilfe das macht.
Aber: Eine Diagnose darf in Deutschland nur ein Arzt stellen. Und er darf, außer in den beschriebenen Ausnahmefällen, keine Diagnosen aus der Ferne, oder auf der Grundlage von "Hörensagen" treffen: Er oder sie muss sich persänlich davon überzeugen, dass das, was ihm berichtet wird, auch stimmt, bevor er die Diagnose trifft. Denn es können Fehler passieren: Die Sprechstundenhilfe kann Dinge falsch einschätzen, bei solchen "Tür-und-Angel"-Tests können auch wichtige Zusatzinformationen unter den Tisch fallen. Zum Beispiel, dass der Patient gerade schwer erkältet ist, oder die Nacht durchgefeiert hat - das sind Dinge, die auch bei weit unter 70jährigen zu einem positiven Test-Ergebnis führen können. Und außerdem: Es kann auch ganz einfach Verständigungsprobleme zwischen den Beteiligten geben, Missverständnisse. Der Demenztest ist im Grunde vergleichbar mit der ADHS-Diagnostik bei Kindern.
In einer idealen Welt wären Sprechstundenhilfen viel besser ausgebildet, dürften viel mehr spezialisierte Aufgaben übernehmen. Aber das ist nicht die Realität. Die Realität in Deutschland ist, dass es in der Abstimmung zwischen Ärzten und deren Angestellten vielfach sogar an der simplen Frage harpert, wann der Patient sich für die Ausstellung der nächsten AU zurück melden muss.
Es gibt aber noch eine weitere, ethische Komponente, die es verbietet, solche Tests auf die beschriebene Art und Weise durchzuführen (wobei ich hier theoretisch davon ausgehe, dass der Bericht so stimmt): Die Frage, ob man an Demenz leidet, oder zu leiden droht, stellt einen Wendepunkt im Leben des Menschen dar; die Diagnose ist stets ein tiefer Einschnitt. Das Wissen um die nahende Demenz allein hat die Macht, Menschen zu verändern: Es schockiert, es lässt verzweifeln.
Viele Menschen haben deshalb im Angesicht dieser Frage große Sorgen und Ängste, und schon die Frage, ob man sich testen lassen möchte, oder nicht, ist für nicht wenige hochemotional.
Denn es droht der Verlust der Kontrolle über das eigene Leben. Und es geht damit die Angst einher, die auch viele Jüngere haben, wenn sie dem Psychiater oder Psychologen gegenüber sitzen: Dass sie in eine "Ecke" gedrängt werden, aus der sie nicht mehr hinaus kommen, selbst wenn sie sich weigern, einen solchen Test zu machen.
In der Praxis bekommt man es ständig zu hören, und auch hier im Forum war es leider schon zu lesen: "Es ist die Krankheit, die Dich daran hindert, das zu tun, was andere von Dir fordern" - mit meinen eigenen Worten zusammen gefasst.
Ein solcher Test erfordert deshalb, wie eigentlich alles im Bereich des Geistes, eine besondere Vorbereitung durch eine Vertrauensperson. Dem Patienten selbst muss zwingend die Entscheidung darüber überlassen werden, ob er einen solchen Test durchführen lassen will, oder nicht.
Keinesfalls darf es deshalb so sein, dass solche Tests ohne Wissen des Patienten durchgeführt werden.
Es gäbe also, falls dies alles tatsächlich so stimmen sollte, eigentlich gute Gründe dafür, die Ärztin zur Rechenschaft zu ziehen.
Aber auf Grund meiner beruflichen Erfahrungen muss ich leider auch sagen, dass es sehr, sehr unwahrscheinlich ist, dass etwas Nachhaltiges passiert - in diesem Fall schon allein deshalb, weil die Kassenärztliche Bundesvereinigung in ihrer unendlichen Weisheit darauf verzichtet hat, dezidiert in den EBM den persönlichen Arzt-Patient-Kontakt hinein zu schreiben. Die Ärztin könnte also argumentieren, dass sie glauben musste, dass das so in Ordnung ist. Dass diese Vorgehensweise auch eine besondere Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen ihrer Patienten darstellt, hat für die Kassenärztliche wenig Bedeutung: Sie ist ja keine Medizin-Polizei.
Widersprechen möchte ich Dir allerdings auch in diesem Punkt: Du sprichst von "Ärzteschaft". Man sollte deutlich hervor heben, dass wir hier nicht von "Ärzteschaft" sprechen, sondern von jenen Teilen der Ärzteschaft, die ihre Patienten aus den Augen verloren haben, und dann andere dafür verantwortlich machen.
Ich möchte gerne deutlich hervor kehen, dass sehr, sehr viele Ärzte in Deutschland tagtäglich eine gigantische Arbeit leisten. Gerade die jungen Ärzte, die für sehr wenig Geld in den Krankenhäusern arbeiten, leisten Beeindruckendes.
Womit ich bei einem weiteren Problem angekommen bin: Leistungserbringer sind Wirtschaftsbetriebe, die Umsatz generieren müssen, und das deutsche System ist, von dort, wo ich stehe aus betrachtet, so angelegt, dass es die Umsatzmaximierung begünstigt, ohne dass man sich dafür außerhalb der Gesetzbücher umschauen müsste.
Der niedergelassene Chirurg, der auch ambulant operiert, wird beispielsweise zwangsläufig OP-Indikationen stellen, wo es nur geht, auch wenn es billigere konservative Alternativen gibt. Der niedergelassene Orthopäde wird versuchen, am Tennisellenbogen so viel zu machen, wie es geht. Dabei kann man sich auf das Schlagwort "medizinischer Fortschritt" berufen, und muss wenig Gegenwehr von den Patienten befürchten, die sehr häufig von ihrem Arzt erwarten, dass er das so macht, und nicht anders.
@KKA: Ich habe mal versucht, mir erklären zu lassen, wie die Kassenärztlichen prüfen. Zunächst einmal werden die Abrechnungen auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit geprüft - also ob alle Vorschriften eingehalten worden sind, der Arzt beispielsweise überhaupt dazu berechtigt ist, bestimmte Positionen abzurechnen.
Darüberhinaus gibt es auch Plausibiltätsprüfungen, bei denen beispielsweise anhand von Zeitprofilen nachgerechnet wird, ob der Arzt all' diese Leistungen, die er abgerechnet hat, auch wirklich erbracht haben kann.
Ich gehe mal davon aus, dass zumindest die regelhafte Plausibilitätsprüfung weitgehend automatisiert ablaufen dürfte. Darüber hinaus werden aber auch Abrechnungen stichprobenhaft genauer unter die Lupe genommen, wobei das alles nun sehr grob zusammen gefasst ist.
Wie genau solche Prüfungen sein können, dürfte wohl diskutabel sein. Und: All' das hat keine Aussagekraft über die Qualität einer Behandlung. Hier ist der Patient weit gehend sich selbst überlassen; eine Chance, zeitnah Ansprüche geltend zu machen, gibt es eigentlich nicht. Und auch die Kassenzulassung als solche wird nur äußerst selten entzogen, zumal diese Entscheidung daran geknüpft ist, dass dem Arzt das Fehlverhalten nachgewiesen ist. In der Regel bedeutet das, dass Gerichtsverfahren zunächst einmal abgeschlossen sein müssen. Und das kann dauern. Ausnahme: Ist der Arzt Drogen- oder alkoholabhängig ist die Zulassung erst einmal weg.
Aber: So lange die Aprobation nicht entogen wurde, kann der Arzt weiter praktizieren, und sich als Privatarzt neu erfinden. Ich persönlich plädiere immer dafür, sich die Frage zu stellen, warum ein Arzt eigentlich keine Kassenzulassung hat, bevor man in die Tasche greift, und Leistungen selbst bezahlt.