Soziale Dienste der Krankenkassen

Fragen zu einzelnen Krankenkassen

Moderator: Czauderna

vlac
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Soziale Dienste der Krankenkassen

Beitrag von vlac » 21.04.2013, 22:30

Hallo,

in zwei Threads (hier:
http://www.krankenkassenforum.de/xxster ... html#58083 und hier: http://www.krankenkassenforum.de/5-vt68 ... c&start=60 ) im Krankengeld-Bereich wurde in den vergangenen beiden Tagen ein "sozialer Dienst" der jeweiligen Krankenkasse angesprochen. Poet fragte, um was es sich dabei genau handelt, und ich muss darauf erwidern: Soziale Dienste sind zwar Teil meiner Arbeit - aber mir ist so etwas noch nie untergekommen.

Noch mal kurz zusammengefasst, mit meinen eigenen Worten: In zwei Threads wurden die Ratsuchenden zu Terminen beim "sozialen Dienst" ihrer Krankenkasse eingeladen.

Ein kurzer Blick ins Internet zeigt, dass wenigstens einige der AOKen, darunter auch die AOK Nordost und die IKK Berlin-Brandenburg, einen sozialen Dienst unterhalten, der der Eigendefinition auf der Homepage der IKK B-B den Versicherten Beratungsangebote und Hilfestellungen anbieten soll.

Bei der AOK Nordost heißt es kurz, man gebe Hilfe und Unterstützung bei der Lösung krankheitsbedingter und sozialer Probleme und berate bei Behandlungs- und Rehabilitationsfragen.

Das ist aus meiner Sicht ein zweischneidiges Schwert.

Solche Angebote werden unter anderem auch, in ähnlicher Form, von einer Vielzahl von externen Trägern angeboten.

Ganz grundsätzlich ist der Gedanke allerdings nicht verkehrt, diese Angebote dort anzusiedeln, wo man die Menschen erreichen kann. Denn es zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass Betroffene oft Jahre lang mit ihren Problemen leben, weil sie schlicht nicht wissen, wo sie sich hinwenden sollen.

Nur: Solche Angebote leben sehr, sehr stark von Vertrauen. Es geht dabei eben nicht allein darum, seine Symptome zu beschreiben, Leistungen zu beantragen, sondern es kommen bei einer solchen Beratung eine Vielzahl von Problematiken zur Sprache, die oft sehr intim sind, und die mit den Aufgabenstellungen einer Krankenkasse nichts zu tun haben.

Und genau da fangen meine Bedenken an: Mir sind die Grundlagen für diese Angebote zu diffus, die Aufgabenstellungen, die Abgrenzung zur Krankenkasse, was passiert, wenn der Versicherte ein solches Beratungsangebot nicht wahr nehmen möchte. oder im Gespräch gemachte Vorschläge nicht umsetzen will.

Unklar ist auch, aus welchen Erwägungen heraus beraten wird: Die IKK B-B erklärt beispielsweise, die Gespräche seien vertraulich, man nehme die Schweigepflicht ernst; bei der AOK Nordost findet die Schweigepflicht keine Erwähnung. So oder so gilt, dass die Berater eines solchen Angebotes keine gesetzliche Schweigeverpflichtung gegenüber ihrem Arbeitgeber haben, und dementsprechend innerhalb des Unternehmens oder der Behörde darüber kommunizieren können - dies ist rechtlich vergleichbar mit einer Beratung beim Jugendamt.

Es lässt sich auch nach einigem Suchen keine Erläuterung, keine verbindliche Richtlinie dafür finden. Eine gesetzliche Vorschrift, die den Berater davon abhält, dem Fallmanager Informationen weiter zu geben, gibt es schon gar nicht. Die Möglichkeit, dass plötzlich Details, die mit der Arbeit der Krankenkasse nichts zu tun haben, in der Akte stehen, ist da, auch wenn ich nicht sagen möchte, dass es tatsächlich passiert.

Was ich allerdings sagen möchte ist: Es gibt, wie gesagt, eine Vielzahl von Organisationen, die Beratung anbieten. Falls es bei den Angeboten der Krankenkassen wirklich nur um Beratung geht, gibt es absolut keinen nachvollziehbaren Grund dafür, warum man nicht auf solche Angebote verweisen sollte.

Sollte es dabei allerdings tatsächlich um Fallsteuerung gehen, dann ist das ausgesprochen bedenklich.

röschen
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Beitrag von röschen » 21.04.2013, 22:56

Erinnert mich daran: "Mein" Fallmanager der TK nannte sich, als er erstmals mit meinem Mann sprach, "Rehaberater". Als ich ihn allerdings monate später, nach KH-Entlassung, nach Therapiemöglichkeiten fragte, merkte sogar ich, dass er null Ahnung davon hatte.

Poet
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Beitrag von Poet » 21.04.2013, 23:04

Hm, das ist wie wenn Kassen eigene Präventionstrainer nach §20 unterhalten. Meine Meinung dazu lasse ich jetzt mal lieber.

vlac
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Beitrag von vlac » 21.04.2013, 23:17

Hallo,

also Deine Meinung würde mich schon interessieren.

Abgesehen davon: Einen gewissen Unterschied zwischen dem Präventionstrainer und der Sozialberatung gibt es ja schon - dem Präventionstrainer erzählt man ja nicht zwangsläufig die richtig großen Probleme neben der Gesundheit.

Poet
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Beitrag von Poet » 21.04.2013, 23:39

@vlac: Nein, darum geht es mir auch gar nicht. Nur: Die Kasse ist Kostenträger, sollte niemals Leistungserbringer ein. Das kann ich aus fachlicher Sicht und auch aus Sicht der Abgrenzung zwischen Entstehungsrechnung und Verwendungsrechnung innerhalb des GKV-Wirtschaftskreislaufes nicht für gut heißen. Wir haben genügend geeignete Leistungserbringer, die sich allemal besser fachlich auf Vordermann halten können als es ein bei Kassen nur für den einen Zweck angestellter MA jemals tun könnte. Wenn es löbliches Ziel der besagten Kassen ist, Betroffenen bei sozialen Problemen und Behandlungsfragen einen Ansprechpartner an die Seite zu stellen, dann bietet sich hervorragend die finanz. Förderung des VdK, SHG's, Vereine an wie es durch viele Kassen schon seit Jahren praktiziert wird.

Ansonsten bekommt das Ganze einen ganz faden Beigeschmack der Vorfeldsteuerung, denn wer will dann abgrenzen wann es über die ganz normale Arbeit der Kassen-Mitarbeiter hinaus zum Einsatz des sozialen Dienstes kommt.

leser
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Beitrag von leser » 22.04.2013, 00:08

der fade Beigeschmack ist schon da, es klingt ein bisschen nach dem, was 'Bämayr' in seinem Buch angeprangert hat. Das Thema wurde hier schon angerissen: http://www.krankenkassenforum.de/opfer- ... t7108.html
(wenn Du dem 1. Link folgst - ist deaktiviert, Du musst wieder ein "www" in der Adressleiste davor setzen):
Die Institution des „Krankengeldfallmanagers“ (KGM) wurde vom Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit (AU) installiert. Diese als Richtlinie eingestufte „Anleitung zur sozialmedizinischen Beratung und Begutachtung bei Arbeitsunfähigkeit“ (ABBA 2004) grenzt in Nr. 4.3.3 die Tätigkeit des KGM ein: „Eine detaillierte Befragung des Versicherten zu aktuellen Beschwerden und zur Krankheit einschließlich Therapie ... sind der Fallsteuerung nicht förderlich“. Im Widerspruch hierzu haben aber z.B. der MDK Bayern und die AOK Bayern eine „Gemeinsame Arbeits-Hilfe für Krankengeldfallmanager für Arbeitsunfähigkeitsfälle mit psychischen Erkrankungen“ und einer weiteren „bei Arbeitsplatzkonflikten“ erlassen, in denen der KGM als medizinischer Laie mit eigenen „medizinischen“ Erhebungs- und Entscheidungskompetenzen ausgestattet worden ist. Diese sollen dem KGM als „Orientierungsrahme in für die Fallsteuerung und den durchzuführenden Beratungsgesprächen bei psychischen Erkrankungen dienen“.
[...]
M.E. grenzwertig und wohl eine Überinterpretation des § 1 SGB V
Zuletzt geändert von leser am 22.04.2013, 00:12, insgesamt 1-mal geändert.

vlac
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Beitrag von vlac » 22.04.2013, 00:10

Da stimme ich Dir komplett zu.

ich möchte zunächst einmal sagen, dass ich mich da im Laufe der kommenden Tage weiter umtun werde, gemeinsam mit einigen Kollegen, die die Thematik interessant genug finden, um da einen genaueren Blick drauf zu werfen.

Was ich allerdings jetzt schon sagen kann: Wenn ich mir eine Organisation anschaue, von VdK bis Caritas, dann finde ich mit relativ wenig Aufwand die Leitlinien, Richtlinien, Qualifikationen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort. Es wird dem Ratsuchenden auch klar kommuniziert, was die Grenzen sind, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen und nicht dürfen.

Das ist in den hier vorliegenden Fällen ganz offensichtlich nicht der Fall - wir haben nun zwei Fälle, in denen Versicherte im Krankengeld Einladungen zum Gespräch beim sozialen Dienst der Krankenkasse erhalten haben, und das mag Zufall sein, oder auch nicht. Aber: Auf den Normalbürger wirkt der Termin beim Dienst so, als sei es seine Pflicht dahin zu gehen.

Und das ist schon mal ein großes Fragezeichen: Was passiert, wenn der Versicherte dort nicht erscheint? Wird die Krankenkasse dann mit der Mitwirkungspflicht kommen? Mal völlig dahin gestellt, ob sie das darf, oder nicht.

Wie gesagt: Da werden noch Fragen gestellt werden.

leser
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Beitrag von leser » 22.04.2013, 00:31

vlac hat geschrieben:Auf den Normalbürger wirkt der Termin beim Dienst so, als sei es seine Pflicht dahin zu gehen.
Solange kein Hinweis auf die Mitwirkungspflicht im Schreiben enthalten ist, wirkt sie rein rechtlich noch nicht. Man müsste mal abwarten, ob beim 2. Schreiben dann der Hinweis auf § 61 SGB I kommt, dann wäre der Aufforderung dem Grunde nach zu folgen.

Die AOK hat es ja "ganz nett" aufgemacht - "die AOK Dein Freund und Helfer" aok.de/baden-wuerttemberg/leistungen-service/sozialer-dienst-175210.php
merkwürdig nur, dass sie sich damit hier im Forum noch nicht positiv präsentieren konnte^^ (aber ich will erstmal vorurteilsfrei bleiben)
Berichte mal, es würde mich auch interessieren

vlac
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Beitrag von vlac » 22.04.2013, 01:06

Hallo,

das ist natürlich so. Aber man muss immer auch berücksichtigen, wie der Begriff als solcher wirkt. Und "Dienst" wirkt eben offiziell - deshalb ist man vielerorts davon abgekommen, ihn zu verwenden - die Leute sollen nicht das Gefühl haben, gezwungen zu werden, oder verwaltet zu werden.

Ich will diese Angebote auch nicht grundsätzlich in Grund und Boden schreiben, sondern nur meine Bedenken zu Protokoll geben - was wiederum nur dazu dienen soll, weiter zu kommen. Mir ist nicht daran gelegen, die krassen Kassen anzuprangern, sondern auszudeuten, wo man etwas besser machen könnte. Nur damit das ganz klar ist.

Interessant ist bei der AOK BW, dass dort die Qualifikation der Brustkrebsberaterinnen deutlich gemacht wird, aber beispielsweise zur Qualifikation bei der Mobbing-Beratung nichts gesagt wird. Das bedeutet vielleicht nichts, aber es fällt auf.

Dass es dabei auch zweifelhafte Qualifikationen gibt, kann man ja an der, ich nenne es mal Affäre, um die IKK Südwest sehen - das bedeutet jetzt nicht, dass ich das für ein grundsätzliches Problem halte. Aber die Gefahr besteht, so lange es keine Standards und Transparenz für solche Angebote gibt.

Man muss sich dabei auch im Hinterkopf behalten, dass der Normalbürger mit seiner Krankenkasse von vorneherein ein besonderes Maß an Kompetenz verbindet. Es kann also sein, dass er möglicherweise auch zweifelhafte Beratung eher annimmt, als dies bei anderen Trägern der Fall ist.

Das sind aber jetzt alles unsortierte Gedanken.

AlfonsoX
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Beitrag von AlfonsoX » 22.04.2013, 20:56

zu diesem Thema habe ich auch ein paar Infos:

Habe mich die Tage auch gefragt, ob diese Termine vom soz. Dienst Pflicht ist.
Den Termin heute habe ich nicht wahrgenommen.

Letzte Woche, als ich meinen Krankengeldanspruch beantragt habe, habe ich ein Merkblatt erhalten.
Es erhält einige erste Infos der KK. In Bezug auf den sozialen Dienst dürfte wohl der Abschnitt:
"ihre Unterstützung" interessant sein.

Hier heist es:
"Ein regelmäßiger Austausch zwischen Ihnen und ihrer AOK ist der Grundstein dafür...
...Aus diesem Grund laden wir Sie zu Beratungsgesprächen ein. Bitte halten Sie sich diese Termine frei"
weiter heist es:
Um ihre Arbeitsfähigkeit schnellstmöglich wieder herzustellen ist es wichtig, dass Sie
Behandlungstermine bitte einhalten und nicht eigenmächtig verschieben....

...Bei Ihrer Genesung ist es wichtig, dass Sie aktiv daran mitwirken (Mitwirkungspflicht) Sollte dies nicht möglich sein,
bitten wir sie uns dies schnellstmöglich mitzuteilen, damit keine finanziellen Nachteile enstehen...

siehe https://www.dropbox.com/s/99x7in4ahf3rpil/Merkblatt.jpg

In keinster Weise geht das Merkblatt allerdings darauf ein, was meine Informationspflicht ist und wo ich nichts darauf
zu antworten brauch.




ein paar Tage später erfolgte dann die Einladung

siehe https://www.dropbox.com/s/4rehv91m069f0 ... Dienst.jpg

es wurde ein Termin für mich reserviert.

Also um mal ganz ehrlich zu sein, diese Einladung zusammen mit dem Merkblatt sugeriert sehr stark die Pflicht zu diesen
Terminen. Da allerdings kein Rechtsmittelbelehrung drauf steht, frage ich mich ob das wirklich Pflicht ist.

Vor allem nachdem ich mir eure Beiträge in diesem Thread durchgelesen habe.

Ich war schon mal vor einigen Jahren beim soz. Dienst. Da wurden einige Fragen zu der Krankheit gestellt, was ich tun
könnte um halt schnellst möglich wieder gesund bin. Also Fragen, die ein Arzt bei der Anamnese stellen würde, nur zielgerichteter
im Hinblick darauf, dass man schnellstmöglich gesund ist.

Poet
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Beitrag von Poet » 22.04.2013, 22:03

AlfonsoX hat geschrieben:Also um mal ganz ehrlich zu sein, diese Einladung zusammen mit dem Merkblatt sugeriert sehr stark die Pflicht zu diesen
Terminen. Da allerdings kein Rechtsmittelbelehrung drauf steht, frage ich mich ob das wirklich Pflicht ist.
@AlfonsoX: Danke für's Posten. Das Beiblatt suggeriert doch aber zumindest schon mal um was es der AOK eigentlich geht...ich habe verstanden. Das ist kein "sozialer Dienst."

s.PN

AlfonsoX
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Beitrag von AlfonsoX » 23.04.2013, 00:28

;)

vlac
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Beitrag von vlac » 23.04.2013, 17:02

Hallo,

@AlfonsoX: Vielen Dank für die Informationen. Es ist als Nicht-Betroffener ausgesprochen schwierig, einen Einblick zu erhalten, und ich lehne solche Angebote keinesfalls grundsätzlich ab.

Solche Angebote können eine unglaublich große Chance sein, Menschen besser zu erreichen, als dies normalerweise der Fall ist. Aber sie bergen in dieser Form eine Reihe von sehr großen Risiken, und ich hoffe, dass meine Gedanken auch bei der einen oder anderen Krankenkasse gelesen werden, und dort für Diskussionen sorgen.

In der Sozialberatung ist Vertrauen ein sehr großer Faktor: Es geht um Themen, die sehr häufig mit Scham besetzt sind, und sehr oft sind die Ratsuchenden psychisch belastet und darüber hinaus in einem sehr komplexen System verirrt. Gerade im Bereich der Psyche hat es oft sehr, manchmal auch sehr, sehr lange gedauert, bis sich die Betroffenen eingestanden haben, dass sie ein Problem haben, und es hat sie große Überwindung gekostet, zum Arzt zu gehen, das Vertrauen zu finden, sich ihm anzuvertrauen.

Gerade für Situationen wie solche, wurde eine sehr restriktive Gesetzgebung in Deutschland geschaffen, die exakt vorschreibt, was der Arzt wem auf welche Weise preis zu geben hat.

Ein Beispiel: So restriktiv ist die Gesetzgebung, dass der Arzt, dass das Krankenhaus den Behörden keine Auskunft über einen Patienten geben darf, es sei denn es liegt ein Durchsuchungsbeschluss für die Patientenakte vor. Im Durchsuchungsbeschluss muss der ausfertigende Richter exakt benennen, um welchen Patienten, und um welchen Teil der Akte bei welchem Arzt es geht. Solche Beschlüsse sind ausgesprochen schwer zu bekommen. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie ernst das Patientengeheimnis in Deutschland genommen wird.

Die Einschränkungen sind bekannt: Der Arzt muss Informationen an den MdK weiter leiten und auch was während der Genehmigung einer Psychotherapie passiert, ist klar geregelt. Es ist damit auch klar geregelt, auf welche Informationen die Krankenkasse selbst Zugriff haben darf.

Solche Einladungen erwecken zumindest den Eindruck, dass diese Regelungen umgangen werden, und durch die Hintertür Informationen beschafft werden, die bei der Krankenkasse nichts zu suchen haben, ohne dass dabei klar geregelt ist, was mit diesen Informationen passiert, wer darauf Zugriff haben darf, und vor allem - ohne, dass die betroffenen Versicherten transparent darauf hingewiesen werden, was sie müssen, und nicht müssen.

Ich habe mittlerweile eine ganze Reihe von solchen Einladungsschreiben mehrerer Kassen gesehen: Sie alle erwecken den Anschein, es sei die Pflicht des Versicherten, dort zu erscheinen, wobei diese Schreiben ohnehin so blumig formuliert sind, dass eine rechtliche Situation suggeriert wird, die so nicht existiert.

Nehmen wir das hier verlinkte Merkblatt: Da wird angemerkt, man sollte "Behandlungstermine" nicht verschieben, und kurz darauf wird dann darauf hingewiesen, dass die Einstellung der Krankengeldzahlung droht. Damit wird suggeriert, dass die Krankenkasse das Recht hat zu erfahren, wann der Patient zum Arzt geht, und es auch erfährt. Tatsächlich ist das aber zunächst einmal nur eine Sache zwischen Arzt und Patient und irgendwann dann auch zwischen Patient und MdK.

Die Mitarbeiter der Krankenkasse, auch nicht die Berater, dürften in Regel auch nicht die Kompetenz haben, zu bewerten, wann sich ein Patient therapiegerecht verhält, wann die Wahl des Arztes, der Behandlungsmethode angemessen ist. Von den Kassen wird überwiegend angegeben, die Berater seien Sozialpädagogen - eine akademische Richtung, die weder in der Medizin noch der Psychologie verortet ist.

Problematisch ist auch die "Schweigepflicht": Zwei Kassen haben mir gegenüber allen Ernstes Schweigepflicht und den gesetzlichen Schutz der Sozialdaten gleich gesetzt - was im Prinzip bedeutet, dass wenigstens dort die im Gespräch beim sozialen Dienst gemachten Angaben in die Gesamtakte Einzug finden.

Gemessen daran, dass diese beiden Kassen in den Gesprächen bei ihren sozialen Diensten auch Informationen zur allgemeinen Lebenssituation, wie beispielsweise Schuldenproblematiken abfragen, ist dies - nun ja.

Wohlgemerkt: Es sind vergleichsweise wenige Kassen, die so vorgehen. Bei einer sehr großen Kasse hat man auf meine Frage hin sehr entrüstet reagiert - man nehme den Schutz der Sozialdaten, aber auch die Privatsphäre des Versicherten sehr ernst. Bei einer anderen sehr großen Kasse wurde mir ein sehr langer Vortrag darüber gehalten, wie man selbst bei den Angeboten, sich eine medizinische Zweitmeinung einzuholen, eine "chinesische Mauer" gebaut hat.

So muss es meiner Ansicht nach laufen: Beratungsangebote, Hinweise darauf, an wen man sich wenden kann, ja gerne. Aber so, dass ganz klar ist, dass nur beraten, und nicht gesteuert wird.

Poet
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Beitrag von Poet » 23.04.2013, 22:52

vlac hat geschrieben:Von den Kassen wird überwiegend angegeben, die Berater seien Sozialpädagogen - eine akademische Richtung, die weder in der Medizin noch der Psychologie verortet ist.
@vlac:...und deren Ausbildung bei Unterstützung im Einzelfall darauf ausgerichtet ist, Hilfe zur Lebensbewältigung zu geben. Nicht nur die Einschätzung was therapiegerecht und welche Behandlungsmethode sinnvoll ist, auch die Validität einer med. Diagnose ist durch Sozialpädagogen nur sehr vage feststellbar. Da der Krankenkasse allg. Hilfe zur Lebensbewältigung untersagt ist als Leistung, stellt sich dann die Frage: Wofür dann ein sozialer Dienst? Damit die Patienten mal reden können und sich öffnen? Das wäre schön...

vlac
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Beitrag von vlac » 24.04.2013, 00:01

Hallo,

ich neige dazu, Dinge sehr freundlich zu formulieren. Weniger freundlich gesagt: Das Urteil eines Sozialpädagogen zu Diagnose und Behandlung hat ungefähr so viel Wert wie Wert wie mein Urteil zu Autos, nämlich gar keins.

Deshalb frage ich mich auch: Was ist das? Was soll das?

Ich habe mittlerweile den ganz massiven Verdacht, der übrigens auch von Datenschützern und Juristen geteilt wird, die ich mit den mir vorliegenden Schreiben konfrontiert habe, dass diese Schreiben so vage formuliert sind, weil sie rechtlich auf sehr, sehr dünnem Eis angesiedelt sind.

Ob das so ist, müssen andere prüfen. ich finde es bedenklich, dass die betroffenen Kassen nicht erklären können oder wollen, was genau die Zielsetzungen solcher Einladungen sind. Was passiert, wenn jemand eine solche Einladung nicht wahr nimmt. Was in den Gesprächen passiert. Was mit den Informationen passiert.

Und auch: Wie es sich mit den gesetzlichen Aufgaben verträgt, auch Informationen zu Problematiken des Alltags abzufragen.

Derjenige, der eine Einladung um sozialen Dienst erhält, geht davon aus, dass er da hin muss, und dass er da reden muss. Die wenigsten kennen ihre Rechte. Und wenn jemand sie kennt, kann es passieren, dass er schon allein deshalb Dinge preis gibt, die er eigentlich nicht erzählen möchte, weil er Nachteile befürchtet.

Und mal ehrlich: Dass da eine Rechtsbelehrung mit schön vielen Paragraphen stehen muss, das weiß doch niemand, der sich damit noch nie auseinander setzen musste.

Dies, gepaart mit den Hinweisen auf Merkblättern, dass man dies oder das tun muss, öffnet Tür und Tor dafür Patienten in Behandlungsmaßnahmen zu zwingen - auf der Grundlage des Urteils von Personal, dass dafür keine Kompetenz hat.

Ein Beispiel hier aus dem Forum: Da wurde von einer Krankenkasse versucht, eine Patientin in eine Therapie bei einem Leistungserbringer zu zwingen, mit dem die Krankenkasse einen Vertrag hat. Ähnliche Beispiele ergeben sich auch meinen Akten, und aus den Akten meiner Kolleginnen und Kollegen, wobei dies Fälle sind, bei denen der betreffenden Kasse (immer die selbe), bekannt war, dass bereits therapeutische Maßnahmen am Laufen sind. Eine Therapie baut auf Vertrauen auf, und im Bereich der Psychotherapie verläuft die Genehmigung einer solchen Therapie nach genau festgelegten Maßstäben. Es kann nicht sein, es darf nicht sein, dass versucht wird, das zu umgehen.

Es darf nicht sein, weil eine Therapie auf Vertrauen aufbaut, und der Effekt genau das Gegenteil sein kann, nämlich eine Verschlechterung, wenn sie nur auf der Grundlage stattfindet, wer mit wem einen Deal hat, und dabei nicht auf den Patienten geschaut wird.

Sehr viel problematischer ist allerdings die Unsitte, psychisch Erkrankte nach kürzester Zeit auf Reha zu schicken. Ich weiß mittlerweile von Betroffenen, dass sie in Gesprächen mit dem sozialen Dienst regelrecht dazu überredet wurden, einen solchen Antrag ohne Rücksprache mit ihrem Arzt zu stellen.

Der Mythos, eine Reha helfe viel besser bei psychischen Erkrankungen, wird von manchen leider auch hier im Forum gerne verbreitet. Bitte entschuldigt, dass ich das kritisch anmerken muss.

Die Schlussfolgerung "viel hilft viel" trifft im Bereich der psychischen Erkrankung nicht zu. Veranstaltet man tagtäglich Therapiegespräche, und dann möglicherweise in einer Therapieform, die dem Patienten nicht gerecht wird, dann macht man meist alles noch viel schlimmer, zumal das, was für den Urlaub gilt, auch für die Reha gilt: Die Abwesenheit vom Lebensmittelpunkt kann sich sehr nachteilig auf den Patienten auswirken. Die Reha muss den Stellenwert behalten, den ihr das Gesetz einräumt.

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