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Betreff: Petition an den Bundesrats-Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik - GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (nicht federführend)
Datum: Sun, 21 Jun 2015 23:28:54 +0200
Von: < ... >
An: ... @bundesrat.de
Sehr geehrte Damen und Herren,
nach der 2. und 3. Lesung im Bundestag vom 11.06.2015 ist am 24.06.2015 wieder der Gesundheitsausschuss des Bundesrates mit dem GKV-VSG befasst. Die Plenarsitzung ist für den 10.07.2015 vorgesehen, obwohl die Rechtsänderung zum Krankengeld (Art. 1 Nr. 15 b GKV-VSG) sozialrechtlich bisher nicht ausreichend aufgearbeitet ist.
Im Hinblick auf die erforderlichenfalls vorgesehene Beteiligung des Bundespräsidenten erhalten Sie die aktuell relevanten Überlegungen mit dem Ziel, die Arbeit auch im Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik sowie die Entscheidung im Plenum konstruktiv zu beeinflussen.
Entgegen der Auffassung der Bundesregierung und unabhängig von Fraktionsabsprachen müsste das Gesetz entsprechend bisheriger Beurteilung durch den Bundesrat zustimmungsbedürftig sein, auch weil es bei dessen Ausführung zu einer enormen Zusatzbelastung der Sozial- und Landessozialgerichte kommen wird, wofür die Länder die entstehenden Ausgaben zu tragen haben, Art. 104a Abs. 4 und 5 GG.
Im Übrigen kann und darf das Gesetz vom Bundesrat als Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland nicht „einspruchslos“ hingenommen werden. Die Gründe werden am Beispiel des Krankengeldes als eine der Sozialleistungen zum laufenden Lebensunterhalt und der Neuregelung des § 46 Satz 2 SGB V durch Art. 1, 15., b) GKV-VSG deutlich:
Nach der vom Bundesrat vor einem Jahr geäußerten Auffassung (Drucksache 151/14, Beschluss, Ziffer 7, vom 23.05.2014) sollen beim Krankengeld „ungewollte Härten“ vermieden werden. Dies wird nur teilweise erreicht; im Übrigen stellt sich die beabsichtigte Änderung in der Fassung des Beschlusses des 14. Buntestags-Ausschusses vom 10.06.2015 (Drucksache 18/5123) als ein für den sozialen Rechtsstaat folgenschwerer Fehler dar.
Anstatt die bisherigen rechtlichen Probleme verspäteter Arztbesuche sowie rückwirkender Krankengeld-Einstellungen zu lösen und das Krankengeld-Recht wieder im Sozialrecht mit den Errungenschaften der Sozialgesetzbücher I und X zu „Augenhöhe und Vertrauensschutz“ zu verankern und mit übrigen Sozialleistungen zum Lebensunterhalt zu harmonisieren, baut die Krankengeld-Rechtänderung auf Irrwegen der über Jahre gescheiterten rechtswidrigen BSG-Rechtsprechung auf und schreibt diese fort. Die „BSG-Krankengeld-Falle“ wird zwar um einen Tag plus Wochenend- und Feiertage entschärft, dafür aber in den Stand der „Gesetzgeber-Krankengeld-Falle“ erhoben. Während alle übrigen Probleme auch künftig hingenommen werden, wird stillschweigend einhergehend die Rechtslage insgesamt schwerwiegend zum Nachteil der Krankengeld-Berechtigten verschlechtert.
Trotz des eindeutigen Singular-Wortlauts des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V und des untrennbaren Zusammenhangs von nur einem Karenztag (Parlaments-Diskussionen der Jahre 1960 / 1961 und 1988) mit nur einem Krankengeld-Anspruch hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, verfassungswidrig in die Kompetenzen des Gesetzgebers eingegriffen. Mit der offenkundig rechtswidrigen Begründung, die Regelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V finde auch uneingeschränkt Anwendung, wenn es um eine Folge-Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Krankheit gehe, vollzog es den Wechsel von der Anspruchseinheit zur Anspruchs-Vielzahl mit mehreren Krankengeld-Ansprüchen und mehreren Karenztagen – zu jeder Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, entsprechend ihrer Dauer. Daraus wird – entgegen § 32 SGB X – der jeweils befristete Krankengeld-Anspruch ebenso hergeleitet wie die rechtswidrig per Gesetzes-Selbstvollzug dementsprechend abschnittsweise Krankengeld-Bewilligung. Dies dient der rechtswidrigen Praxis beliebiger rückwirkender Krankengeld-Einstellungen.
Zum gegenteiligen rechtlichen Standpunkt wird auf die Urteile der Sozialgerichte Trier, Mainz und Speyer seit 2013 sowie des Landessozialgerichts Essen vom 17.07.2014 verwiesen. Die Reaktionen des Bundessozialgerichts, zuletzt vom 16.12.2014, sind nicht schlüssig, erscheinen geradezu willkürlich. Dies ergibt sich auch aus dem Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 03.03.2015, S 19 KR 10/15 ER („unlauter“, „contra legem“ ...).
Unter solchen Umständen wäre es rechtsstaatlich fatal, die erkannt illegale „Recht“sprechung des BSG nun zum Gesetz zu erheben.
Zudem ist es unverhältnismäßig und verfassungswidrig, nach wie vor speziell die Personengruppe der Arbeitsunfähigen ohne Beschäftigungsverhältnis wegen banaler Formalitäten mit dem Krankengeld-Verlust existenzbedrohend zu sanktionieren. Stattdessen muss der Staat die per Zwangsversicherung mit Zwangsbeiträgen erworbenen Ansprüche seiner Staatsbürger nach einheitlichen und angemessenen gesetzlichen Maßstäben einlösen.
Somit drängt sich auf, sowohl für arbeitslose wie auch für beschäftigte Krankengeld-Bezieher als verhältnismäßigeres Mittel zur Sicherung rechtzeitiger Arztbesuche und Folge-Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen den rechtlichen Weg des tageweisen Ruhens zu wählen, etwa nach dem Modell des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V für Fälle der verspäteten Meldung der Arbeitsunfähigkeit.
Damit würde sich auch die Problematik der bisher unzureichenden Unterscheidung von Feststellung und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit auflösen. Da eine Arbeitsunfähigkeit nicht aus mehreren Teil-Arbeitsunfähigkeiten besteht, kann sie – sprachlogisch – nicht mehrfach festgestellt werden. Nach der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kommen allenfalls Bestätigungen über deren Fortdauer in Betracht. So ist die Formulierung über die „ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit“ mit der ärztlichen Praxis der Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung – auch nach den ab 01.01.2016 geltenden Vorgaben – unvereinbar. Aus einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung „voraussichtlich bis ….“ ergibt sich kein „bescheinigtes Ende der Arbeitsunfähigkeit“.
Näher betrachtet schließen sich die Regelungen in Art. 1, 15., a), wonach der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an entsteht und in Art. 1, 15., b), dass der Anspruch auf Krankengeld jeweils nur bis zu dem Tag bestehen bleibt, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt, schon vom Wortlaut her gegenseitig aus. Zudem macht die rechtliche Konstruktion dieser Aufgliederung eines Anspruchs in mehrere aneinander anschließende Teil-Ansprüche hier keinen Sinn.
Der wahre Sinn erschließt sich aus den Begründungen der Urheber der vorgesehenen Neuregelung. Der AOK-Bundesverband und der GKV-Spitzenverband haben sehr deutlich gemacht, dass das Krankengeld außerhalb der Sozialgesetzbücher I und X verankert werden soll, indem die inzwischen mehrjährige (eingefügt: illegale) „Recht“sprechung des BSG zum Gesetz erhoben wird.
Der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages hat es als fachlich kompetentes Gremium unterlassen, den weitergehenden Inhalt der vorgesehenen Gesetzesänderung und die Begründung dazu offiziell zur Kenntnis zu nehmen und sich damit zu befassen. Es hat zwar den neuen Wortlaut des § 46 SGB V beschlossen aber die insoweit relevanten Fakten der amtlichen Gesetzesbegründung zumindest unbewusst vorenthalten (oder sogar unterdrückt, denn dazu waren die Verantwortlichen mehrfach beteiligt).
Dieser grobe Verfahrensfehler ist verfassungsrechtlich relevant, denn damit hat der vorbereitende federführenden Gesundheitsausschusses seine Pflicht als Beschlussorgan in einem wesentlichen Punkt verletzt, dem Bundestag zu berichten und einen begründeten Beschluss zu empfehlen. Folglich war das Plenum gehindert, die Tragweite seiner Entscheidung insoweit zu überblicken. Es konnte nicht erkennen, dass mit der Änderung des § 46 SGB V nicht nur Probleme gelöst werden, die sich in der Praxis vor allem nach Wochenenden bei der verspäteten Ausstellung von Arbeitsunfähigkeits-Folgebescheinigungen gezeigt haben, sondern tatsächlich weit mehr geregelt wird.
Der Gesundheitsausschuss kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er – dem Fraktionszwang folgend – seine Aufgaben nicht selbst wahrgenommen, sondern nur vorbereitete und verabredete Fraktionsergebnisse von CDU/CSU und SPD weiter transportierte, als wären es Ergebnisse seiner eigenen Arbeit. Dazu wird ergänzend auf die Erklärung des Abgeordneten Rudolf Henke (CDU/CSU) Bezug genommen:
„In den heutigen Abstimmungen zum Versorgungsstärkungsgesetz stimme ich in dem Sinne ab, wie es die Arbeitsgruppe Gesundheit meiner Fraktion beschlossen hat und wie es in der Fraktion verabredet ist.“
Offenbar ist die fachliche Kompetenz des Gesundheitsausschusses als vorbereitendes Beschlussorgan des Deutschen Bundestages politischen Interessen der GroKo-Fraktionen geopfert worden, womit sich die Frage stellt, ob das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren zum GKV-VSG zur Farce verkommen ist.
Außerdem ergeben sich Irritationen, weil zum Beratungsergebnis im federführenden Ausschuss erkennbar auf den früheren Textvorschlag lt. Regierungs-Beschluss vom 17.12.2014 Bezug genommen wird:
„Durch den neuen Wortlaut des Satzes 2 wird geregelt, dass der Anspruch auf Krankengeld bestehen bleibt, wenn nach dem Ende der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit deren Fortdauer wegen derselben Krankheit erst am nächsten Werktag – mit Ausnahme des Samstags – ärztlich festgestellt wird.
Im Übrigen wäre zur Krankengeld-Rechtsänderung eine Übergangsregelung erforderlich. Nach dem Votum des Bundesrates vor einem Jahr (Drucksache 151/14, Beschluss, Ziffer 7, vom 23.05.2014) sollen beim Krankengeld „ungewollte Härten“ vermieden werden. Mit Blick auf dieses durch Entschärfung der BSG-Krankengeld-Falle teilweise erreichte Ziel drängt sich auch auf, eine Übergangsregelung zu schaffen, mit der zumindest alle nicht bestandskräftig entschiedenen Fälle "bereinigt" und möglichst auch die über § 44 SGB X zeitlich zugänglichen Korrekturen ermöglicht werden.
Wenn die Klärung zu all dem nicht auf den Rechtsweg verwiesen werden soll, besteht dringender Bedarf an Nachbesserung im Gesetzgebungsverfahren. Insbesondere erscheint es erforderlich, im Zusammenhang mit dem Krankengeld als Sozialleistung wegen den dafür maßgeblichen Vorschriften der Sozialgesetzbücher I und X auch den Bundesratsausschuss für Arbeit und Soziales zu beteiligen, nachdem sich der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages insoweit nicht als kompetent erwiesen und der dortige Ausschuss für Arbeit und Soziales dazu nicht geäußert hat.
Mit freundlichen Grüßen
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